I.
MERIDIANE – LANDKARTEN DER SEELE
Die Suche nach dem umfassenden Wohlbefinden
„Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.“
Ludwig Wittgenstein
„Ein Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“: Mit dieser 1948 beschlossenen Definition verfolgte die Weltgesundheitsorganisation das Ziel, Gesundheit von einer rein biomedizinischen Betrachtungsweise zu lösen, Gesundheit nicht als einen gegebenen und unveränderlichen Zustand zu betrachten, sondern als eine stetig neu und aktiv zu kreierende Balance in allen Lebensbereichen. Jahrzehnte später sind wir von diesem Ziel weiter denn je entfernt. Warum? Wir haben doch so viel erreicht in der Zwischenzeit: Wir dürfen uns eines Lebensstandards erfreuen, der in der Geschichte der Menschheit einzigartig ist. Wir können auf ein hervorragendes medizinisches System und großartige soziale Errungenschaften zurückgreifen. Wir blicken einer kontinuierlich zunehmenden Lebenserwartung entgegen. Wir haben Freiheit, Freizeit und Möglichkeiten in großem Stil.
Aber trotzdem oder genau deswegen: Die anvisierte umfassende Gesundheit stellt sich nur in den wenigsten Fällen ein. Vielmehr werden wir beinahe flächendeckend mit einer Flut an neuen Beschwerden und Krankheiten konfrontiert. Viele davon haben ihre Ursachen im psychisch-emotionalen Bereich. Oder in der Lebensführung. Burnout-Zustände, Allergien oder Stoffwechselstörungen nehmen rapide zu, sogar bei jungen bis sehr jungen Personen. Die Kosten dafür gehen in die Milliarden. Ein Ende dieser Entwicklung? Nicht absehbar! Das gefühlte Fehlen von wirklichem Wohlbefinden sorgt für eine Negativspirale, durch die sich die Probleme ständig verschärfen. Wir steuern mit hoher Geschwindigkeit einem kranken Gesundheitssystem entgegen.
Gründe dafür gibt es viele. Sicherlich wesentliche Aspekte sind die zunehmende Komplexität und vielschichtigen Herausforderungen des Lebens 2.0. Dazu kommen Überfluss, Überdruss und weit überzogene Erwartungshaltungen: Wir wollen immer alles haben. Und das sofort. Schlimmer noch: Wir können immer alles haben. Und das sofort. Doch um dieses völlig aus der Balance geratene Leben zu führen, zahlen wir einen hohen Preis. Eine wirklich erfüllende Lebensbalance ist eine Herausforderung, die im Zeitalter der ständigen Erreichbarkeit, der zwingenden Flexibilität und der sukzessive schwindenden Stabilität schwer zu meistern ist. Genau genommen entfernen wir uns kontinuierlich von jenem anvisierten psychischen, physischen und sozialen Wohlbefinden, anstatt ihm näher zu kommen. Wir spüren, dass etwas nicht stimmt. Wir spüren, dass uns etwas fehlt. Wir suchen danach.
Eine erfüllende Lebensbalance ist eine Herausforderung, die im Zeitalter der ständigen Erreichbarkeit und der sukzessive schwindenden Stabilität schwer zu meistern ist.
Aber diese Suche ist nicht einfach. Wegweiser in Richtung Gesundheit und Glück gibt es in einer solchen Vielzahl, dass sie mehr zur Desorientierung als zur Hilfestellung beitragen. Was tun, wenn der Körper zwickt? Was tun, wenn die Seele schmerzt, der Geist ermüdet? Überall gibt es Spezialisten, die Großartiges leisten. Das ist hervorragend, wenn spezifische Probleme vorliegen, die spezifische Lösungen erfordern. Geht es um das große Ganze, geht es um ein wirklich umfassendes Wohlbefinden, dann ist eine fragmentierende Betrachtungs- und Herangehensweise jedoch wenig zielführend. Denn ob physischer oder psychischer Natur: Die meisten Beschwerden sind das Resultat eines Ungleichgewichts zwischen Körper, Geist und Seele, zwischen Lebensstil, Lebensumständen und Lebenswünschen oder -erwartungen.
Der Mensch ist ein multidimensionales Wesen, eine vielschichtige Einheit, die weit mehr ist als die Summe ihrer Funktionen