1. KAPITEL
Hastig verließ Belle Peterson den Handyshop, in dem sie als Filialleiterin arbeitete, und machte sich auf den Weg zu Earl Harmon. Seine Anwaltskanzlei im Herzen von Newburgh, New York, vertrat schon seit Jahrzehnten die Interessen der Familie.
Die Bürovorsteherin führte sie in das Besprechungszimmer, in dem ihr Bruder bereits wartete. Cliff, dreißig Jahre alt und frisch geschieden, blickte starr vor sich hin. Offensichtlich wollte er nicht mit ihr sprechen. Das letzte Mal hatte Belle ihn auf der Beerdigung ihrer Eltern vor einem halben Jahr gesehen, danach war der Kontakt abgebrochen.
Auf den ersten Blick war Cliff ein attraktiver Mann. Doch bei näherer Beobachtung machte sein gehetzter Blick ihn eher unsympathisch. Cliff war ein frustrierter, mit sich und seinem Leben unzufriedener Mensch. Nach seiner Scheidung und dem Tod seiner Eltern bei einem Verkehrsunfall stand er jetzt ganz allein da.
Belle spürte seine Antipathie ganz intensiv. Bewusst setzte sie sich auf den Stuhl, der am weitesten von ihm entfernt stand.
Im Alter von zehn Jahren war Belle von Cliffs Eltern adoptiert worden. Davor hatte sie von Geburt an in einem kirchlich geführten Waisenhaus in Newburgh gelebt. Dort war sie glücklich gewesen, denn die Nonnen und die anderen Kinder hatten sie ebenso geschätzt wie Belle sie.
Mit der Adoption jedoch änderte sich ihr Leben schlagartig. Bei ihrer neuen Familie stieß sie auf Ablehnung, sie kam sich ungeliebt vor. Als Ausgleich setzte sie alles daran, die Achtung ihrer Mitschüler und Freunde zu erringen. So gut ihr das auch gelang, der Schmerz, nichts über ihre leibliche Mutter zu wissen, ließ sich dadurch nicht lindern.
Belle hatte das Gefühl, wurzellos zu sein und keine Identität zu besitzen – sie war jetzt vierundzwanzig Jahre alt und kannte noch nicht einmal ihren wahren Nachnamen.
Nach Cliff hatte Mrs Peterson keine weiteren Kinder mehr bekommen können, deshalb hatte sich das Ehepaar für eine Adoption entschieden. Belle war es