1. KAPITEL
Ben Wheeler hasste nichts mehr als Misserfolge. Während seiner siebzehn Jahre bei der Polizei hatte er glücklicherweise nicht allzu viele gehabt. Natürlich hatte er einige Rückschläge erlebt. Etwa bei jenem Fall, bei dem er mit einer Kugel im Bauch eine Woche lang auf der Intensivstation liegen musste. Immerhin war es ihm gelungen, seine beiden Gegner niederzustrecken. Man konnte also nicht wirklich von einem Misserfolg reden. Er hatte überlebt – sie nicht. Dann gab es noch jene Mordfälle, die einfach nicht aufgeklärt werden konnten. Die verabscheute er am meisten.
Aber einen gewalttätigen Mann, der seine Frau schlug, nicht ausfindig machen zu können … Ben würde es sich niemals verzeihen, wenn er ausgerechnet in diesem Fall versagen würde. Rory Hardesty war zwar wie vom Erdboden verschluckt, aber aus seinem Versteck drohte er Faith. Er rief sie meistens nachts an und versprach ihr, sie würde ihr blaues Wunder erleben. Ben musste Rory Hardesty unbedingt finden – koste es, was es wolle.
Seine Finger umklammerten das Lenkrad.Verflucht! Wann wurde diese verdammte Umleitung auf der Strecke nach West Fork, die ihn jeden Tag fünfzehn Minuten am Morgen und am Abend kostete, endlich aufgehoben? Schlimmer noch: Sie führte ihn zwei Mal am Tag an der Farm der Russells vorbei, die hinter der lang gezogenen Kurve des Highways direkt am Fluss lag.
Jedes Mal, wenn der Bauernhof vor der Windschutzscheibe seines Wagens in Sicht kam, wurde er an seinen Misserfolg erinnert.
Und das Schlimmste: Die Sache war noch längst nicht ausgestanden.
Er beschloss, an der Farm vorbeizufahren, ohne nach rechts oder links zu schauen. Höchstens ganz kurz, um sich zu vergewissern, dass kein Kranken- oder Streifenwagen auf dem Grundstück stand. Um diese Zeit wäre das allerdings ziemlich ungewöhnlich. Hardesty tauchte meistens nachts auf.
Knapp eine halbe Meile hinter der Russell-Farm mündete der Highway in die Zufahrtsstraße nach West Fork, der Kleinstadt am Fuß des Cascade-Gebirges, das sich durch den gesamten US-Bundesstaat Washington zog.
In dieser Stadt arbeitete Ben seit einem Jahr als Polizeichef. Manchmal zweifelte er immer noch, ob es eine gute Entscheidung gewesen war, hierherzuziehen. Das Leben war auf jeden Fall geruhsamer als in Los Angeles. Wobeigeruhsam auch eine freundliche Umschreibung für langweilig sein konnte.
Für einen Polizisten, der sich mit Raub, Mord und Totschlag befasst hatte, fühlte es sich noch immer irreal an, wenn er sich jetzt um gestohlene Sägen oder Graffiti-Schmierereien an Schulwänden kümmern musste. Der gefährlichste Ort in dieser Stadt war das Rathaus, wo er sich mit sturköpfigen Idioten herumschlagen musste, die unfähig waren, die Probleme ihrer Kommune in den Griff zu bekommen. Dummerweise war er von ihnen abhängig – sie zahlten ihm sein Gehalt.
Seine Gedanken schweiften zurück zu Rory Hardesty, zu Charlotte und vor allem zu Faith. Die beiden waren eineiige Zwillingsschwestern – und Faith war Hardestys Exfrau. Faith und Charlotte waren neunundzwanzig. Faith hatte ihr gesamtes Leben in West Fork verbracht – abgesehen von den vier Jahren auf dem College. Charlotte war erst vor Kurzem zurückgekommen – zum einen, weil sie ihren Job in San Francisco verloren hatte; zum anderen, um Faith und ihren Vater auf dem Hof zu unterstützen.
Die Russell-Farm kam in Sicht. Sie war schon lange kein Bauernhof mehr im herkömmlichen Sinne. Faith hatte die Scheune zu einem Laden umfunktioniert, in dem sie Pfl