: Håkan Nesser
: Der Halbmörder Die Chronik des Adalbert Hanzon in Gegenwart und Vergangenheit, von ihm selbst verfasst
: btb
: 9783641258900
: 1
: CHF 10.90
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: Erzählende Literatur
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Trotz allem, was du vielleicht glaubst, bist du nicht wichtig für die Welt.' Das waren die Worte, die Adalbert Hanzons Vater ihm als Kind mitgab. Vielleicht nicht das ermutigendste Motto, aber Adalbert kommt trotzdem ganz gut zurecht. Zumindest bis die Liebe und der Wahnsinn, der so oft darauf folgt, zuschlagen. 43 Jahre und eine Haftstrafe später ist Adalbert Hanzon ein dem Alkohol zugeneigter älterer Herr mit Rückenproblemen und zunehmend nachlassendem Gedächtnis. Plötzlich holt ihn die Vergangenheit ein: bei einem Apothekenbesuch glaubt er die einzige Frau, die ihm jemals etwas bedeutet hat, wiederzuerkennen. Und die einzigen Menschen, die ihm helfen können, Licht in das Dunkel zu bringen, was vor fast einem halben Jahrhundert passiert ist, sind sein nervtötender Nachbar und seine allzu gesprächige Cousine. Aber Not ist die Mutter der Erfindung, und Adalbert fest entschlossen, der Wahrheit auf den Grund zu gehen.

Håkan Nesser, geboren 1950, ist einer der beliebtesten Schriftsteller Schwedens. Für seine Kriminalromane erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, sie sind in über zwanzig Sprachen übersetzt und mehrmals erfolgreich verfilmt worden. Håkan Nesser lebt abwechselnd in Stockholm und auf Gotland.

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Zwei Mieter wohnen in meinem Kopf. Sie leben dort seit Langem, bezahlen keine Miete und ziehen niemals aus. Ihre Namen sind Schuld und Scham, sie müssen erwähnt werden, und jetzt ist es getan.

Aber ich möchte meine Chronik nicht mit diesen beklemmenden Begleitern einleiten, da verliere ich gleich den Mut. Ich schiebe sie in die Zukunft, vielleicht bis ans Ende, und beginne stattdessen mit einem anderen Namen. Meinem eigenen.

Ich heiße Adalbert Hanzon.

Es gab eine Zeit, in der ich Bert Hansson hieß, aber das ist lange her. Heute bin ich dreiundsiebzig, und mein Gedächtnis ist nicht mehr, was es einmal war. Vielleicht bin ich auch einen Hauch dement, aber falls es so sein sollte, habe ich keine Lust, mich näher damit zu befassen. Dazu besteht keine Veranlassung, und ich versuche, meinem mentalen Verfall entgegenzuwirken, so gut es eben geht. Mit der Zeit werde ich auf das eine wie das andere zurückkommen, aber das ist kein Versprechen. Ich habe noch nie ein Buch geschrieben, und es ist nicht gesagt, dass es mir gelingt, die Sache glücklich zu Ende zu bringen, aber seit einiger Zeit treibt mich ein innerer Zwang an, es wenigstens zu versuchen. Dafür gibt es gute Gründe.

Ich sitze an meinem Küchentisch. Es ist ein grauer Vormittag in der ersten Septemberhälfte. Durch das Fenster kann ich Henry Ullberg sehen, der auf der anderen Straßenseite aus seiner Haustür tritt und sich mit seinem Rollator in Richtung Marktplatz und Einkaufsmöglichkeiten schleppt. Er geht jeden Tag einkaufen, auch wenn es gar nicht nötig ist. Manchmal sehe ich ihn mit kaum mehr als einer Tüte Möhren und einer Zeitung zurückkommen.

Henry Ullberg ist im Großen und Ganzen der einzige Mensch, mit dem ich in Kontakt stehe. Er ist sturer als ein Esel. Wir treffen uns ungefähr einmal im Monat, meistens bei ihm, weil ihm das Gehen schwerfällt, wenn er besoffen ist. Und besoffen werden wir immer, wir trinken nämlich Drinks, die wir aus Single Malt Whisky und Trocadero mixen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, die Getränke zu variieren, aber Henry, dieser starrsinnige Dickkopf, weigert sich. Und weil er stets den Whisky beisteuert, mache ich gute Miene zum bösen Spiel. Sein Sohn Robert schickt ihm das Gesöff aus Schottland, wo er als eine Art Jurist arbeitet. Er hat seinen Vater seit fünfzehn Jahren nicht mehr besucht, aber die Pullen kommen regelmäßig an.

Bei unseren Trinkgelagen zerstreiten wir uns häufig, Henry Ullberg und ich, und beschließen fast immer, uns nie wieder zu sehen. Er ist jedoch genauso einsam wie ich, und nach zwei oder drei Wochen greift deshalb immer einer von uns zum Telefonhörer und schlägt vor, dass wir demnächst einen Drink nehmen und ein bisschen quatschen. Meistens rufe ich an, Henry ist generell ein ziemlich zugeknöpfter Typ. Er ist etwas älter als ich, und wir kennen uns seit mehr als vierzig Jahren. Gott sei Dank haben wir uns nicht durchgehend gesehen, aber während einer ziemlich langen Zeitspanne war es täglich und sogar stündlich. Ob wir wollten oder nicht, auch darauf werde ich zurückkommen.

Das Schreiben zehrt an meinen Kräften. Ich sitze hier gerade einmal eine halbe Stunde, bin aber bereits erschöpft und ein wenig entmutigt. Ich bringe meine Worte in einem ziemlich großen Notizbuch mit einem festen, gelben Einband zu Papier. Ich besitze vier Stück davon, gek