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Heute Morgen saß sie mir im Rücken. Die Kälte. Tropfte meinen Körper herunter. Glitt mir über die Beckenknochen in die Beine. Legte sich über meine Knie. Rutschte. Sammelte sich in meinen Füßen. Beinen. Als hätte mein Körper versucht, sie auszuschwitzen. Die Kälte. Aber die letzte Membran konnte sie nicht überwinden. Ihr Kondenswasser steht mir bis zu den Knien. Wie Stiefel. Unter der Haut. Kalte, schwere Stiefel stehen unter meinem Schreibtisch, neben einem Container. Auf Rollen. Denn alles muss in Bewegung sein im Büro. Laufen. Das ist nicht der Ort, an dem man innehält. Friert. Das ist der Ort, an dem Zeit in Geld gemessen wird. Also stellt man selbst die Schränke auf Rollen, um sie schnell zu sich zu rollen. Wie auch die Schubladen. Auf und wieder zu. Denn Zeit ist Geld. Das leere Regal neben mir fordert. Ordner soll ich anlegen und Unterlagen abheften. Es meint es nur gut, glaubt, mein Zeuge zu sein, denn es sieht mich jeden Tag, weiß aber eben doch nichts über mich. Wie Yelda.
Im Büro sitzt sie mir gegenüber. Auf Polstern so grau wie Beton. Es sind nicht Yeldas Polster. Das Büro hat sie ihr geliehen. Es gibt uns so viel. Das Büro macht uns effizient. Lässt uns überhaupt erst funktionieren. Es ist schon beeindruckend, was sie können, diese zwei miteinander verbundenen Räume. Und die Männer. Sitzen am Fenster zur Straße. Sie sind älter als wir, miteinander reden sie nie. Also wenn sie sprechen, dann am Telefon. Ansonsten sind sie still, denn sie arbeiten. Was Yelda und mir Aufforderung ist, auch zu schweigen. Also zu arbeiten. Dafür bezahlen wir sie, die Männer. Wir mieten eigentlich nicht die Schreibtische, die Regale und rollenden Container, die brauchen wir eigentlich nicht. Wir brauchen die Männer. Denn ohne sie würden wir miteinander reden. Yelda und ich. Unsere Arbeit funktioniert nur so, wie wir sie uns eingerichtet haben. Die Männer haben sich ihr Büro eingerichtet. In ihren Regalen stehen Ordner, ihre Schreibtische sind übersät mit Unterlagen und Einladungen, Stiften und Radiergummirest. Und im Strom ihres Arbeitens – zwischen ihnen – schwimmen zwei Teppiche. Jeden Tag kommen sie zur exakt gleichen Zeit in das Büro. Hängen ihre Mäntel und Parka an die Haken neben der Tür. Reden noch kurz, zwei Sätze, drei Sätze, bis sie dann sitzen. Aufstehen tun sie nur, um sich Kaffee aufzubrühen. In der kleinen Kochzeile, da stehen sie dann, warten darauf, dass aus Wasser und Bohnen eine Auszeit wird, während ihr Blick durch unser Zimmer kreist.
Ob wir uns nicht mal ein Bild mitbringen wollten? Oder eine Lampe?
Bilder und Lampen scheinen für sie Dinge zu sein, die im Überfluss vorhanden sind. Zuhause. Das muss für sie sein wie ein Wald, in dem man irgendeinen Ast einfach abbrechen kann, ohne dass es dann an Ästen fehlt. Yelda und ich aber wohnen in keinem derartigen Wald. Wir haben uns zwar noch nie gegenseitig besucht, aber ich bin mir sicher, dass unsere Wohnungen sich gleichen. Sie sind Lichtungen. Leer. Uns gehört kaum etwas. Wir haben das Internet.
Ich friere. Ziehe den Rollcontainer an mich heran. Seine unterste Schublade habe ich nicht ganz geschlossen, weil es schnell gehen musste. Als ich die Dinge hineingelegt habe, von denen ich nicht weiß, warum ich sie überhaupt besitze. Gekauft habe.
Seltsame Dinge sind mit mir passiert in den vergangenen Monaten. Vor zwei Wochen war ich bei meiner Gynäkologin. Obwohl mir nichts fehlte, bin ich auf den gynäkologischen Stuhl gestiegen, und meine Gynäkologin hat den langen, weißen Schallkopf in mich hineingeschoben. Zwischen meine Beine. Um es mir dann noch mal zu attestieren: Mir fehlte nichts. Das sah sie auf ihrem Bildschirm, dass mir nichts fehlte. Ein Rauschen war da, grau und weiß. Und