1. KAPITEL
„Ich werde heiraten!“ verkündete Holly. Sie war an diesem Morgen fünfzehn Minuten zu spät dran und knallte ihre Aktenmappe auf den Schreibtisch ihres Büros in der Event-Agentur „Wolke Sieben“.
„Du machst was?“ ertönte Beth’ Stimme entgeistert aus dem Lautsprecher der Telefonanlage.
Holly setzte sich an ihren Schreibtisch, schlug die Beine übereinander und entdeckte die Laufmasche in ihrer Strumpfhose. Ihre Stimmung erreichte einen erneuten Tiefpunkt. Sie nahm sich ein Paket mit einer neuen Strumpfhose von dem Vorratsstapel in der untersten Schublade des Schreibtisches und ging in das zu ihrem Büro gehörige Bad, um sich umzuziehen. Zwar musste sie laut werden, um von dort aus über die Telefonanlage von Beth verstanden zu werden, was bei ihrer gegenwärtigen Laune jedoch kein Problem war. „Ich sagte, ich werde heiraten!“
„Aber ich kann mich nicht erinnern, dass du dich in den vergangenen sechs Monaten mehr als einmal mit demselben Mann verabredet hättest“, wandte ihre Freundin am anderen Ende der Leitung verblüfft ein, „geschweige denn, dass du einem davon so nahe gekommen wärst, um ihn heiraten zu wollen!“
Hollys Assistentin Lydia wählte genau diesen Moment, um das Büro zu betreten. Sie blieb wie angewurzelt stehen, so dass aus dem Becher, den sie in der Hand hielt, der Kaffee beinahe überschwappte, und starrte fast beleidigt auf die Telefonanlage. Holly kam aus dem Bad, wieder makellos bekleidet, winkte Lydia ungeduldig zu, und diese stellte den Kaffeebecher sogleich in Reichweite für Holly auf den Schreibtisch.
Ohne um Erlaubnis zu bitten, mischte sich Lydia ganz selbstverständlich in das Privatgespräch ein. „Habe ich euch richtig verstanden? In der kurzen Zeit, die ich gebraucht habe, um Holly einen Kaffee zu machen, hat sie sich einen Bräutigam an Land gezogen?“
„Bist du das, Lydia?“ fragte Beth am anderen Ende der Leitung.
Lydia beugte sich über die Telefonanlage. „Wie geht es dir, Beth? Wann kommt das Baby?“
„Oh, es geht mir bestens, und das Baby soll ungefähr in einem Monat kommen …“
„Bitte, Mädels“, unterbrach Holly die beiden. „Hier werden gerade ganz wesentliche Entscheidungen für mein Leben getroffen.“
Lydia machte sofort eine Geste, als würde sie sich die Lippen verschließen.
„Tut mir Leid, Darling“, meldete sich Beth vergnügt. „Aber Lydia ist schuld. Du weißt genau, dass ich mich nicht zurückhalten kann, wenn mich jemand nach dem Baby fragt. Bitte, rede jetzt weiter.“
„Danke.“ Holly atmete tief ein. „Heute Morgen, als ich gerade am letzen Block in der Lonsdale Street entlangging, hat mich dieser … Mann praktisch platt gewalzt. Mein Aktenkoffer landete in der Gosse, die Kulis rollten über die Straße, und meine wichtigen Unterlagen flatterten über den Gehweg. Und als ich dann auf Händen und Knien meine Sachen wieder einsammelte, besaß dieser Typ auch noch die Frechheit,mir zu sagen, ich solle besser aufpassen!“
„War er süß?“ erkundigte sich Lydia sofort.
Nein, süß war nicht der treffende Ausdruck. Holly rief sich seine braunen Augen in Erinnerung. Die dunklen Schatten der Erschöpfung darunter hatten unwillkürlich ihr Mitgefühl geweckt. Aber sein finsterer Blick, als er erkannte, dass sie alles fallen gelassen hatte, hatte derartige Gefühle rasch wieder erstickt. Trotz seines gereizten Tons hatte seine Stimme einen tiefen, warmen Klang gehabt … mit einem Anflug von amerikanischem Akzent. Nein, süß traf es wirklich nicht.
„Groß“, antwortete Holly zögernd.