1. KAPITEL
Sämtliche Kameras waren auf den Mann gerichtet, der in diesem Moment auf den Balkon mit Blick auf den Schlosspark trat, um das traditionelle Zitronen- und Orangenfest am 15. April offiziell zu eröffnen.
Vincenzo Di Laurentis, Kronprinz des Fürstentums Arancia.
Es war der erste öffentliche Auftritt des Dreiunddreißigjährigen seit der Beerdigung seiner Frau, Prinzessin Michelina, vor sechs Wochen. Freundlich winkte er den Menschenmassen zu, die ihm zu Ehren erschienen waren.
Sein kleines Land lag idyllisch zwischen Frankreich und Italien an der Mittelmeerküste. Achtzigtausend Einwohner zählte die gleichnamige Hauptstadt, weitere dreißigtausend verteilten sich auf kleinere Ortschaften und Dörfer im Umland. Haupteinnahmequelle war neben dem Tourismus der Zitronen- und Orangenanbau. Und diese wichtigste Stütze seiner Wirtschaft würde das Fürstentum während der kommenden zwei Wochen mit Festumzügen und weiteren Veranstaltungen gebührend feiern.
Vincenzo war gerade erst von einer Reihe von Staatsbesuchen auf insgesamt drei Kontinenten zurückgekehrt und froh, wieder bei seinem Vater, Fürst Guilio, zu sein. Er hatte ganz vergessen, wie wundervoll Arancia im Frühling zur Zeit der Orangen und Zitronenblüte war. Eine freudige, erwartungsvolle Stimmung lag in der Luft, die vom Duft der Blüten erfüllt war, und auch die Schatten, die sich seit dem Tod seiner Frau auf sein Gemüt gelegt hatten, schienen sich zu lichten.
Ihre Heirat war keine Liebesheirat gewesen. Nach ihrer Verlobung mit sechzehn hatten er und Michelina bis zur Hochzeit vierzehn Jahre später kaum Zeit miteinander verbracht. Als er an diesem Nachmittag nach längerer Abwesenheit ihre gemeinsame Wohnung im Palast betreten hatte, war er wieder einmal von Schuldgefühlen bedrängt worden, weil er es nie geschafft hatte, sie so zu lieben, wie sie ihn geliebt hatte. Lediglich aufrichtigen Respekt und ehrliche Bewunderung hatte er ihr dafür gezollt, wie entschlossen sie dafür gekämpft hatte, ihre Ehe dennoch zu einer guten zu machen. Drei Fehlgeburten hatten sie durchlitten in der Hoffnung auf ein Kind.
Er hatte im Bett mit Michelina nie Leidenschaft empfunden, weil er sie nicht liebte, aber versucht, ihr zumindest ein zärtlicher Liebhaber zu sein. Vor seiner Ehe hatte er durchaus die eine oder andere leidenschaftliche Affäre gehab