: Marianne Zückler
: Freiheit, Liebe, Hoffnung Über sexuelle Orientierung und Ausgrenzung in Osteuropa - Aktualisierte Neuausgabe
: Europa Verlag GmbH& Co. KG
: 9783958904651
: 1
: CHF 10.60
:
: Gesellschaft
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Lebensfäden von acht Protagonisten verweben sich zu einem großen Teppich, in dem Einschüchterung und Ausgrenzung, aber auch Liebe und Freiheit ineinandergehen. Sie gewähren uns Einblicke in eine Welt, in der viele Menschen wegen ihrer sexuellen Identität verfolgt werden und gegen Anfeindungen und Diskriminierung ankämpfen müssen. Die Protagonisten zeigen ihren Weg heraus aus der Opferrolle - Wege voller Mut, Beharrlichkeit und Selbstvertrauen.

Marianne Zückler, geb. 1960 in Berlin, studierte Germanistik, Erziehungswissenschaft und Theaterpädagogik. Sie ist Dozentin für dokumentarisch-biografische Theaterarbeit. Seit 1994 arbeitet sie als freie Autorin. Themenschwerpunkte sind die Verschränkung von Erfahrungs- und Erinnerungsräumen sowie die transgenerationelle Weitergabe von Kriegs- und Gewalttraumatisierungen. Ihre Hörspiel-Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet. Ihr erster Roman 'Der blanke Hans und seine Frauen' erschien 2015.

ANDRÉ/ANDREA


Ich bin 1949 in Riga geboren. An welchem Tag … welcher Monat? Das wissen der liebe Gott und mein Schutzengel. Die Papiere hat man nachträglich und dank meines energischen Adoptivvaters ausgestellt. Schon verrückt – keine Identität ohne behördliche Papiere? Identität ist etwas ganz anderes, etwas Angeborenes. Ich fühle mich mit mir verbunden, das ist meine Identität. Mit dem Papier verbindet mich gar nichts. Ist doch völlig unwichtig, ob man als Männchen, Weibchen oder als etwas dazwischen auf die Welt kommt. Wir sind alle Kinder Gottes.

Ich bin in sehr unruhigen und schweren Zeiten geboren … vermutlich im Lager. Damals gab es viele Deportationen in Riga. Viele Letten, Juden, Kinder, Kriminelle und politische Gegner wurden von den Sowjets abgeholt und in Straflager nach Sibirien gebracht.

Ich hatte Glück im Unglück. Mein Schutzengel hat mich wie ein Jesuskind vor eine Tür gelegt. Später bin ich dann in ein Kinderheim gekommen. Es war eines der schlimmsten! Das erzählten meine Adoptiveltern oft, wenn sie drohten, mich wieder hinzubringen. Als sie mich holten, muss ich drei oder vier Jahre gewesen sein. Viele Kinder starben dort an Typhus und anderen Krankheiten. Endlose Flure … alle führen ins Nichts … riesige Schlafsäle, lange, schwarze Schlunde … an den Gestank von Pisse und Kacke, daran kann ich mich erinnern. Die brüllenden Stimmen … einer rüttelt mich, zum Appell … und bindet mich los.

Davon wache ich heute noch auf. Klitschnass, mein ganzer Körper. Ich stehe dann auf, öffne das Fenster, ganz weit, rauche eine – meistens werden es mehr. Ich warte bis zum Morgengrauen, bis die schwarzen Raben der Vergangenheit weggeflogen sind, aber sie kommen wieder.

Viele wurden in Gulags verschleppt. Auch die, die »andersrum« waren. Zu Sowjetzeiten sprac