Eine nächtliche Überraschung
„Ich werde dich so vermissen!“ Mia klammert sich so fest an Michaels Hals, als wollte sie ihn buchstäblich nie wieder loslassen. Die Hände in den knarzenden Stoff seiner Lederjacke vergraben, versucht sie so viel von seinem Geruch einzuatmen wie nur möglich.
Und auch er hat die Arme eng um ihren Oberkörper geschlungen und das Gesicht in ihren rotblonden Locken vergraben.
Je näher der Tag seiner Abreise gekommen war, desto unzertrennlicher waren sie geworden. In der letzten Nacht hatten sie praktisch kein Auge mehr zugetan. Dabei würde Michaels Auslandssemester in Rom sie für grade einmal vier Monate voneinander trennen.
„Du solltest langsam los, Mann.“ Jonathans Stimme – obwohl wesentlich weniger emotional als die von Mia – klingt ebenfalls ungewöhnlich bedrückt. Er legt eine Hand auf die Schulter seines Mitbewohners. „Dein Flieger geht in vierzig Minuten.“
Michael – das Gesicht immer noch in Mias Locken – nickt. Dann löst er sich ein wenig von ihr, nur um sie im nächsten Moment ein letztes Mal heftig und lange zu küssen.
Mia muss ein Schluchzen unterdrücken.
„Ich ruf dich an, sobald ich gelandet bin.“ Vorsichtig löst Michael sich von seiner Freundin und streicht ihr zärtlich die Locken aus dem leicht geröteten Gesicht. Dann dreht er sich zu Jonathan um. „Du passt gut auf sie auf, hm?“
„Immer.“
Nachdem sich die beiden Männer einmal kurz und fest umarmt haben, schultert Michael seinen Seesack und Jonathan legt einen Arm um Mias bebende Schultern. Gemeinsam beobachten sie, wie Michael sich in die Schlange an der Sicherheitsschleuse einreiht und bleiben so lange stehen, bis er durch den Metalldetektor durch ist und mit einem letzten Winken ins Innere des Flughafengebäudes verschwindet.
Jonathan drückt sanft Mias Schulter und haucht ihr einen Kuss oben auf den Kopf. „Lass uns nach Hause gehen, Kätzchen.“
Mia – zu bedrückt für viele Worte – nickt bloß und lässt sich widerstandslos von ihrem Mitbewohner nach draußen führen.
Während der Fahrt vom Schönefelder Flughafen zurück in den Prenzlauer Berg scheinen weder das milde Frühlingswetter noch Jonathans vorsichtige Konversationsversuche Mia aufheitern zu können. Traurig blickt sie durch die trübe S-Bahn-Scheibe nach draußen auf das vorbeirauschende Berlin und zupft am Saum ihrer cognacfarbenen Lederjacke herum. Immer wieder überprüft sie ihr Handy, doch es dauert fast zwanzig Minuten, bis sie endlich eine Nachricht von Michael bekommt:
Bin im Flugzeug. Ich vermisse dich jetzt schon.
In Windeseile beginnt Mia eine Antwort zu tippen, doch auch wenn ihr unzählige Gedanken im Kopf herumsausen, schreibt sie am Ende bloß ganz schlicht:Ich dich auch. Hab einen guten Flug.
Dann hebt sie den Blick und sieht zu Jonathan auf, der neben ihr sitzt und dessen Arm immer noch um ihre Schultern liegt. „Er ist eingestiegen.“
Jonathan nickt. „Ja, hab’s gesehen.“ Er fährt sich mit der freien Hand durch das dunkelblonde Haar und zieht Mia dann ein wenig enger an sich. „Die paar Monate sind im Handumdrehen vorbei. Und dann ist er schon wieder daheim.“
Mia legt den Kopf an seine Schulter und nickt – allerdings nicht allzu überzeugt. „Ich wünschte nur, es wäre nicht gerade… jetzt. Es lief grad’ alles so gut.“
„Ja, das stimmt.“ Wieder haucht Jonathan einen Kuss auf Mias Kopf. „Die letzten Monate waren echt wunderbar.“
Ein kleines Lächeln erblüht auf Mias vollen Lippen und sie blickt erneut zu Jonathan empor. „Wirklich?“
Er grinst. „Wirklich.“
Eine knappe Woche später sitzt Jonathan mit einer Tasse Kaffee auf dem überdimensionierten roten Sofa in ihrer gemütlichen Küche unter der Dachschräge, während Mia wie ein aufgescheuchtes Huhn von einem Zimmer ins andere saust – dabei leeres Geschirr einsammelt und Fenster erst aufreißt und dann wieder zuknallt. Als sie beginnt, die halbtoten Pflanzen auf den Regalen über der Küchentheke zu wässern, lacht Jonathan auf.
„Mia, jetzt setz‘ dich mal hin!“ Er drückt sich halb aus dem Sofa empor, packt Mia am Handgelenk und zieht sie zu sich in die Polster. „Du machst mich ganz nervös!“
Mit einem Seufzen streckt Mia sich neben ihm aus, wischt dabei aber unauffällig noch ein paar Krümel von