: James Fallon
: Der Psychopath in mir Die Entdeckungsreise eines Neurowissenschaftlers zur dunklen Seite seiner Persönlichkeit
: LangenMüller
: 9783784484327
: 1
: CHF 13.10
:
: Angewandte Psychologie
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die genetische Veranlagung, nicht das soziale Umfeld prägt den Charakter eines Menschen - so die Überzeugung des Neurowissenschaftlers James Fallon. Im Rahmen einer Alzheimer-Studie entdeckt er jedoch unter den anonymisierten Hirnscans einen Scan, der die typischen Strukturen eines Serienkiller-Hirns aufweist. Noch größer wird der Schock, als er feststellt: Es handelt sich um sein eigenes Gehirn! Nun muss er seine These komplett hinterfragen. Anscheinend hat er die Anlagen eines Psychopathen, z.B. fehlende Empathie oder die Neigung zu Gewalttätigkeit. Aber seine Familie, Freunde und die von seiner Mutter ahnungsvoll dicht verplante Freizeit haben ihn offenbar davor bewahrt, dass seine dunkle Seite zum Ausbruch kommt. Diese Erkenntnis stellt nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch die komplette Wissenschaft auf den Kopf.

Prolog

An einem der letzten strahlenden Herbsttage in Südkalifornien im Oktober 2005 verpasste ich einem wissenschaftlichen Artikelfür dasOhio State Journal of Criminal Law den letzten Schliff. Es ging darin um neuroanatomisches Hintergrundwissen, das zum Verstehen des Gehirns eines jungen Psychopathen beitragen sollte. Der Text basierte auf einer langen Analysereihe, die ich über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren anhand von individuellen Hirnscans psychopathischerMörder vorgenommen hatte, den schlimmsten Verbrechern, die man sich nur vorstellen kann. Sie hatten derart abscheuliche Taten begangen, dass jeder unwillkürlich zusammenfahren würde, wenn ich meine Schweigepflicht brechen und davon erzählen würde.

Doch ihre Vergangenheit war nicht das Einzige, was sie von uns anderen Menschen unterschied. Als Neurowissenschaftler mit über 30 Jahren Berufserfahrung hatte ich über Jahre hinweg zahlreiche Hirnscans begutachtet, und diese hier waren anders. Die Gehirne der Psychopathen wiesen in bestimmten Bereichen der Frontal- und Temporallappen – Arealen, die normalerweise mit Selbstbeherrschung und Empathie in Verbindung gebracht werden – ein seltenes und alarmierendes Muster niedriger Hirnaktivität auf. Bei Tätern, die unmenschliche Gewaltverbrechen begangen hatten, erschien dies auch logisch, denn die geringe Aktivität in diesen Regionen legte eine mangelhafte Fähigkeit zu moralischem Denken sowie mangelnde Impulskontrolle nahe. Dieses Muster erklärte ich in meinem Beitrag, reichte ihn zur Veröffentlichung ein und wandte mich sogleich dem nächsten Projekt zu.

Während ich mich mit den Scanaufnahmen dieser Mörder auseinandersetzte, hatte mein Team in einer anderen Studie die Fragestellung beleuchtet, ob es für die Alzheimer-Krankheit eine genetische Veranlagung gäbe und – wenn ja – welche Gene daran beteiligt sein könnten. Im Rahmen dieser Arbeit hatten die Kollegen und ich Gentests vorgenommen und bei Alzheimer-Patienten, aber auch diversen Mitgliedern meiner Familie (die als normale Kontrollgruppe herhalten sollten) Gehirnscans durchgeführt.

An jenem Oktobertag setzte ich mich also hin und analysierte die Aufnahmen meiner Familie. Dabei fiel mir auf, dass das letzte Bild dieses Stapels ausgesprochen ungewöhnlich war. In der Tat sah es aus wie der Prototyp jener Bilder, über die ich kurz zuvor noch geschrieben hatte, was darauf hindeutete, dass der Unglücksrabe, zu dem es gehörte, ein Psychopath war – oder zumindest ungewöhnlich viele Gemeinsamkeiten mit einem solchen aufwies. Da ich in meiner Familie keinerlei entsprechenden Verdacht hegte, ging ich natürlich davon aus, dass eine der Aufnahmen versehentlich in den falschen Stapel gerutscht war. Ich habe immer mehrere Projekte gleichzeitig laufen, und obwohl ich mich bemühe, gut organisiert vorzugehen, war es durchaus denkbar, dass mal etwas an der falschen Stelle landete. Da wir uns jedoch darum bemühen, die Bilder anonym zu halten, hatten wir die Aufnahmen nicht mit Namen versehen, sondern kodiert. Um einen Fehler auszuschließen, bat ich den Labortechniker, diesen einen Code zu entblinden.

Als ich erfuhr, von wem diese Aufnahme stammte, glaubte ich erst recht an einen Fehler. Verärgert verlangte ich