: Zaza Burchuladze
: Zoorama Roman
: Tropen
: 9783608119688
: 1
: CHF 17.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In jedem von uns steckt ein Tier, sagt man. Aber steckt auch in jedem von uns ein Mensch? Eine junge georgische Familie mitten im grauen Winter Berlins. Exilanten, die ein neues Leben beginnen müssen und doch vom alten verfolgt werden. Und ein Hochhaus, das hermetisch abgeriegelt ist, aber die ganze irrsinnige Welt zu beherbergen scheint, flüchtige Generäle, entlaufene Zootiere und jede Menge Abfall. Nur für die Zukunft ist kaum Platz. Ein intensiver Roman über den Verlust und das Finden der Sprache und die Familie als letzte Gemeinschaft in einer unwirtlichen Gegenwart.  Der Vater, ein Schriftsteller, verliert langsam seine Sprache. Die Tochter Stella spielt stattdessen dauernd mit Worten. Ihre Mutter Marika muss immer für alle Probleme eine Lösung finden. Als sie zu einem Kindergeburtstag am anderen Ende der Stadt aufbrechen, begegnet ihnen eine zweite Geschichte von einem alten Hochhaus aus Sowjetzeiten. Mit elektrischen Zäunen und vergitterten Fenstern von der Außenwelt abgeschnitten, ersticken die Bewohner zusehends im eigenen Müll. Flüchtige Generäle und entlaufene Zootiere geistern durch die Gänge und seit einiger Zeit verschwinden die Kinder. Kann der Mensch gerettet werden oder wird er sich selbst auslöschen? Wozu erzählen, worauf hoffen, wenn am Ende alle Erzeugnisse nur den Abfall vermehren? Zoorama ist die literarische Suche nach Überlebensmitteln für eine aus den Fugen geratene Welt.  »Zoorama gleicht für mich einem Labyrinth, das man atemlos durchquert, als wäre es eine Sache der Unmöglichkeit innezuhalten oder gar umzukehren. Ähnlich Dantes Vergil, treibt uns das Alter Ego des Autors zielsicher durch sein eigenes, persönliches Inferno. Er führt uns durch das schmutzige und graue Berlin, ins zerstückelte, für ihn nur noch aus Versatzstücken bestehende Tbilisi, hinein in ein apokalyptisches Hochhaus mitsamt seinen skurrilen und dem Untergang geweihten Bewohnern.« Nino Haratischwili »Viele Osteuropäer müssen heute wieder aus Angst in den Westen fliehen, ins Exil. Einer dieser Flüchtlinge ist Zaza Burchuladze. [...] Doch das Land, das man mitbringt ins Exil, ist nur so groß wie die Fußsohlen und die Trauer im Kopf.« Herta Müller »Zaza Burchuladze ist ein markanter, origineller, mit niemandem sonst vergleichbarer Schriftsteller. Seine Prosa trägt etwas Unvorhersagbares in sich - für einen zeitgenössischen Autor das wichtigste Qualitätsmerkmal.« Wladimir Sorokin

Zaza Burchuladze, 1973 in Tbilissi geboren, übersetzte Fjodor Dostojewski und Daniil Charms ins Georgische. Seine Romane und Essays wurden von religiösen Extremisten verbrannt und vom Präsidenten Saakaschwili in der georgischen Tagesschau angeprangert. Im Sommer 2012 wurde er von Unbekannten angegriffen und musste mit seiner Familie nach Deutschland fliehen. Heute lebt und arbeitet er in Berlin. Für seine Romane wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis der Friedrich Naumann Stiftung. Zuletzt erschienen »adibas« (2015), »Touristenfrühstück« (2017) und »Der Aufblasbare Engel« (2018).

2.


Mir kann man leicht etwas einreden. Marika hat so eine Art, das zu sagen und dabei mit den Augen auf mich einzureden, als würde sie mich programmieren. Oder verhexen. Sie hat dann so einen Blick, wenn der auf einen Besen oder was auch immer fällt, meint man, er würde gleich Wurzeln schlagen, Blätter austreiben und zu blühen beginnen. Selbst wenn der Besenstiel aus Plastik ist und nicht aus Holz. Darum habe ich manchmal das Gefühl, ich werde eines Tages die Haustür aufmachen und nicht auf der Straße stehen, sondern auf dem Mond. Oder auf einem exotischen Planeten, in einer riesigen Eiswüste, wo man tief in seinem Inneren weiß, dass man beim ersten Atemzug sterben wird, aber solange man noch lebt, solange man den Atem noch anhält, sieht man die tückische Schönheit ringsum und zählt in Gedanken die letzten Sekunden:

Eins.

Zwei.

Drei.

Und plötzlich verschwindet alles.

Bis es so weit kommt, kreise ich meinen Hula-Hoop, spähe durchs Fenster und versuche am zementfarbenen Berliner Himmel, auf dem gerade ein Kondensstreifen verblasst, das Wetter zu erraten. Vergeblich. Mit der gleichen Bewegung, mit der man in Georgien ein Lawasch-Fladenbrot innen an die Wand des Tandoor-Ofens klatscht, damit es nicht verbrennt, klebt der Nachbar einen Sonnenschutz von innen an die Frontscheibe seines Opel, der unter einer Werbetafel steht, damit er in der Kabine nicht verglüht und das Armaturenbrett nicht ausbleicht. Ich frage mich sowieso, was die Sonne in Berlin will.

Den ganzen Monat lang ist die Werbung auf der Tafel nicht ausgetauscht worden. Sie ist einfach, wirkungsvoll und auch ein bisschen unanständig: Vor hellblau-weißem Hintergrund steckt eine rote Rose in einer Mineralwasserflasche. Im Hals einer kleinen transparenten Flasche steckt ein grüner Stiel, obendrauf flammt wie Feuer eine rote, geöffnete Krone. Am wirkungsvollsten ist der Name des Mineralwassers: »Wasser der Unsterblichkeit«. Dieses Bild begegnet einem in letzter Zeit in Berlin auf Schritt und Tritt. Das »Wasser« bekommt man in drei Ausführungen: naturell, feinperlig, spritzig. Den ganzen Monat schon springt mir diese Reklame ins Auge, an der Decke der U-Bahn, an Bussen oder als buntes Booklet in der Post. Doch das Wasser selbst habe ich noch nicht probiert.<