Der Besuch von Reichskanzler Brüning in Paris im Juli 1931 war entscheidend für meine Entsendung als französischer Botschafter nach Deutschland. Dieser bleiche, sorgfältig rasierte Mann mit den feinen Zügen, den man für einen katholischen Prälaten oder anglikanischen Priester halten konnte, der mit zagender Stimme sprach, aber klar und bestimmt, ohne jemals laut zu werden, flößte sogleich Vertrauen und Sympathie ein. Die dichten Augenbrauen, die enge Stirn, die schmalen Lippen, ein verschwimmender Blick hinter Brillengläsern riefen vielleicht einen weniger günstigen Eindruck hervor; doch kamen in seinen Zügen Intelligenz und Milde, Rechtschaffenheit und Bescheidenheit des Wesens zum Ausdruck. Er war zurückhaltend, von unauffälligen Bewegungen; er besaß die aufmerksame Höflichkeit eines Geistlichen. Nichts an ihm erinnerte an die raue, schwere Art des Germanen, er überraschte angenehm. Er klagte nicht an und protestierte nicht; gelegentlich schrak er nicht davor zurück, mit etwas traurigem Lächeln Irrtümer und Fehler seines Landes zuzugeben. Man fühlte, er war bemüht, gerecht, vernünftig und anständig zu denken. Man schilderte ihn als einen frommen Laien. Man versicherte, dass selbst seine Gegner nicht umhin konnten, ihn zu achten. Er hatte auf jeden Fall eine angenehme Art, seine vielgestaltige Aufgabe zu lösen, die Schwierigkeiten seines Landes zu vertreten, und er nahm sich der Sache Deutschlands so ehrlich, einfach und würdig an, dass er bei seinen Zuhörern Mitgefühl und den Wunsch erweckte, ihm zu Hilfe zu kommen. Wie hätte man bei einem solchen Reichskanzler, von dem man obendrein sagte, er erfreue sich der vollen Unterstützung Hindenburgs, nicht annehmen sollen, es lohne sich, an dem deutschfranzösischen Problem und seiner Lösung zu arbeiten?
Seit meiner Jugend hatte ich mich für Deutschland interessiert. Ich hatte es auf vielen Reisen besucht und war schon öfter zu einem längeren Aufenthalt dort gewesen. Seine Einrichtungen, seine Sprache, seine Sitten, seine Geisteswelt, die so widerspruchsvollen Ausdrucksformen seiner Landschaft und seiner Bewohner waren mir seit Langem vertraut. Ich kannte seine Vorzüge und seine Fehler; es zog mich in gleichem Maße an, wie es mich abstieß. Wie die meisten Soldaten des Krieges 1914/18 und vielleicht wie die meisten Franzosen wünschte ich, dass die Beziehungen unseres Landes zu dem unruhigen Nachbarn verbessert und gefestigt würden, um uns vor der Möglichkeit eines neuen Krieges zu bewahren. Die Umstände erschienen gerade günstig, einenmodus vivendi, wenn nicht sogar eine endgültige Regelung zu suchen, die eine andere Atmosphäre schaffen und uns aus einer aufreibenden Periode stets neu auftauchender Zwischenfälle und Konflikte einmal herausführen könnte.
Das Reich war zu dieser Zeit in ernsten Schwierigkeiten. Die Wirtschaft litt allgemein unter einer schweren Krise. Mit hungrigem Magen lässt sich nicht gut arbeiten. Die Lähmung in Handel und Industrie, die Verschuldung der Landwirtschaft, die Unordnung im Finanzwesen, die enorm hohen Steuerlasten, die zunehmende Arbeitslosigkeit hatten zur Folge, dass die inneren Gegensätze sich verschärften und das Nationalbewusstsein förmlich aufgestachelt wurde. Auf den Tod Stresemanns war ein außerordentlich rasches Absinken des Einflusses der Volkspartei und Demokraten gefolgt, auf die sich die Erfüllungspolitik stützte. Der Kommunismus gewann an Boden. Die Deutschnationalen Hugenber