: André François-Poncet
: Thomas Gayda
: Botschafter in Berlin 1931-1938
: Europa Verlag GmbH& Co. KG
: 9783958902572
: 1
: CHF 15.90
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: 20. Jahrhundert (bis 1945)
: German
: 480
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Am 28. September 1938 läuft das Ultimatum des Deutschen Reiches an die Tschechoslowakei ab. An diesem Tag sucht der französische Botschafter André François-Poncet in der Reichskanzlei um eine Audienz bei Adolf Hitler nach. 'Sie wissen, Herr Reichskanzler, ich bin immer Ihr guter Stern gewesen', lauten seine Begrüßungsworte. Als in diese Unterhaltung Mussolinis Botschafter Bernardo Attolico mit einem Vermittlungsvorschlag des Duce platzt, ist Hitler schon so präpariert, dass er sich für den Frieden entscheidet. 36 Stunden später, in der Nacht vom 29. zum 30. September 1938, unterzeichnen Neville Chamberlain, Edouard Daladier, Benito Mussolini und Adolf Hitler das Münchner Abkommen, das für kurze Zeit noch einmal den Frieden rettet. Mit der Konferenz von München geht André François-Poncets Zeit als Botschafter in Deutschland zu Ende. Seit seinem Amtsantritt 1931 hatte er aus nächster Nähe den Übergang der Weimarer Republik in eine Diktatur erlebt, in der Willkür und brutale Unterdrückung Andersdenkender immer mehr zunahmen. Gleichzeitig wurde die französische Botschaft zu einem der gesellschaftlichen Treffpunkte Berlins, und François-Poncet avancierte zum 'Doyen des diplomatischen Corps'. Seine scharfsinnigen Beurteilungen der politischen Lage wurden von Freunden und Gegnern respektiert, sogar von den Spitzen der NS-Elite, die nicht selten als Zielscheibe für seinen feinen Spott dienten. Schon früh durchschaute er Hitlers Absichten und schrieb mehrfach warnende Depeschen an den Quai d'Orsay. Sein Buch über die Botschaftsjahre in Berlin ist spannende Lektüre und zugleich ein wichtiges Dokument der Zeitgeschichte.

André François-Poncet (1887-1978), Germanist, Literat, Politiker und überzeugter Humanist, zählt zu Europas schillerndsten Diplomaten vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Ob als französischer Botschafter in Berlin und Rom oder als alliierter Hochkommissar und erster Botschafter seines Landes in der BRD: Er begleitete wie kein Zweiter während eines Vierteljahrhunderts die Geschicke Deutschlands, beeinflusste maßgeblich die französisch-deutsche Annäherung nach 1945 und gilt als wichtiger Wegbereiter des vereinten Europa. Seit früher Jugend ein 'homme de lettres', hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter bedeutende Dokumente voll erzählerischer Kraft, die bis heute Historikern als wichtige Quelle dienen.#Dr. Thomas Gayda ist im Kleinen Walsertal aufgewachsen. Als Musikhistoriker spezialisierte er sich auf das Gebiet der Exilforschung und realisierte federführend die CD-Edition 'Entartete Musik' für das Klassik-Label Decca. Durch die intensive Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte stieß er auf die Tagebuchtexte François-Poncets, die er 2015 in Tagebuch eines Gefangenen publizierte. Zusammen mit dessen Tochter Geneviève sorgte er nun für eine Neuveröffentlichung von Botschafter in Berlin.

REICHSKANZLER BRÜNING


Der Besuch von Reichskanzler Brüning in Paris im Juli 1931 war entscheidend für meine Entsendung als französischer Botschafter nach Deutschland. Dieser bleiche, sorgfältig rasierte Mann mit den feinen Zügen, den man für einen katholischen Prälaten oder anglikanischen Priester halten konnte, der mit zagender Stimme sprach, aber klar und bestimmt, ohne jemals laut zu werden, flößte sogleich Vertrauen und Sympathie ein. Die dichten Augenbrauen, die enge Stirn, die schmalen Lippen, ein verschwimmender Blick hinter Brillengläsern riefen vielleicht einen weniger günstigen Eindruck hervor; doch kamen in seinen Zügen Intelligenz und Milde, Rechtschaffenheit und Bescheidenheit des Wesens zum Ausdruck. Er war zurückhaltend, von unauffälligen Bewegungen; er besaß die aufmerksame Höflichkeit eines Geistlichen. Nichts an ihm erinnerte an die raue, schwere Art des Germanen, er überraschte angenehm. Er klagte nicht an und protestierte nicht; gelegentlich schrak er nicht davor zurück, mit etwas traurigem Lächeln Irrtümer und Fehler seines Landes zuzugeben. Man fühlte, er war bemüht, gerecht, vernünftig und anständig zu denken. Man schilderte ihn als einen frommen Laien. Man versicherte, dass selbst seine Gegner nicht umhin konnten, ihn zu achten. Er hatte auf jeden Fall eine angenehme Art, seine vielgestaltige Aufgabe zu lösen, die Schwierigkeiten seines Landes zu vertreten, und er nahm sich der Sache Deutschlands so ehrlich, einfach und würdig an, dass er bei seinen Zuhörern Mitgefühl und den Wunsch erweckte, ihm zu Hilfe zu kommen. Wie hätte man bei einem solchen Reichskanzler, von dem man obendrein sagte, er erfreue sich der vollen Unterstützung Hindenburgs, nicht annehmen sollen, es lohne sich, an dem deutschfranzösischen Problem und seiner Lösung zu arbeiten?

Seit meiner Jugend hatte ich mich für Deutschland interessiert. Ich hatte es auf vielen Reisen besucht und war schon öfter zu einem längeren Aufenthalt dort gewesen. Seine Einrichtungen, seine Sprache, seine Sitten, seine Geisteswelt, die so widerspruchsvollen Ausdrucksformen seiner Landschaft und seiner Bewohner waren mir seit Langem vertraut. Ich kannte seine Vorzüge und seine Fehler; es zog mich in gleichem Maße an, wie es mich abstieß. Wie die meisten Soldaten des Krieges 1914/18 und vielleicht wie die meisten Franzosen wünschte ich, dass die Beziehungen unseres Landes zu dem unruhigen Nachbarn verbessert und gefestigt würden, um uns vor der Möglichkeit eines neuen Krieges zu bewahren. Die Umstände erschienen gerade günstig, einenmodus vivendi, wenn nicht sogar eine endgültige Regelung zu suchen, die eine andere Atmosphäre schaffen und uns aus einer aufreibenden Periode stets neu auftauchender Zwischenfälle und Konflikte einmal herausführen könnte.

Das Reich war zu dieser Zeit in ernsten Schwierigkeiten. Die Wirtschaft litt allgemein unter einer schweren Krise. Mit hungrigem Magen lässt sich nicht gut arbeiten. Die Lähmung in Handel und Industrie, die Verschuldung der Landwirtschaft, die Unordnung im Finanzwesen, die enorm hohen Steuerlasten, die zunehmende Arbeitslosigkeit hatten zur Folge, dass die inneren Gegensätze sich verschärften und das Nationalbewusstsein förmlich aufgestachelt wurde. Auf den Tod Stresemanns war ein außerordentlich rasches Absinken des Einflusses der Volkspartei und Demokraten gefolgt, auf die sich die Erfüllungspolitik stützte. Der Kommunismus gewann an Boden. Die Deutschnationalen Hugenber