KAPITEL 2
Als Nächstes sollte Max dem Plan folgen, der inoffiziell »Die Jagd nach dem Gestohlenen Brief« hieß. Er war Max vor zwanzig Jahren in einer schlecht besuchten Bar an der Pennsylvania Avenue in Washington D. C. von Jim Dunkirk erklärt worden. Aus unerfindlichen Gründen hatte sich Max dieser Abend sehr detailliert eingeprägt. Die Bar war das Letzte: Über dem Tresen hing ein Hirschkopf, es roch nach Flohpulver. Max war noch Anfänger und Dunkirk sollte ihn vor seiner ersten Reise in die ganz frische »ehemalige Sowjetunion« instruieren. Doch stattdessen war der hochgewachsene, ergrauende Jim Dunkirk – der in direkter Linie von den Siedlern der Mayflower abstammte und sich ein beachtliches Humpeln eingehandelt hatte, als er in den Achtzigern russische Geheimnisse an afghanische Rebellen weitergab – mit Max auf Sauftour gegangen. Sie waren beide »sternhagelvoll«, wie Dunkirk sich ausdrückte, als der ältere Mann plötzlich einen ganz neuen, freundlicheren und Max irritierenden Ton anschlug. Er klopfte dem Anfänger auf den Rücken und erklärte ihm seine Theorie.
»Verstecken ist passé«, knurrte Dunkirk. Er lehnte sich vertraulich zu Max herüber. »Sobald man anfängt, sich zu verstecken, sondert man einen bestimmten Geruch ab. Kann dir jeder Jäger bestätigen. Wie verscheucht man jede Beute? Durch seinen Geruch. Dazu braucht man schon eine sehr feine Nase, aber die haben wir. Und die auch. Also? Keinen Geruch ablassen. Nicht verstecken. Sich direkt vor ihrer Nase bewegen – da gucken sie am wenigsten hin.« Am nächsten Tag hatte Max rasende Kopfschmerzen.
Max stieg aus dem Wagen, trat auf den Roten Platz und verbannte Dunkirk aus seinem Kopf. Schließlich war er, Max, wieder da. Das war das Einzige, was zählte. Er war wieder da – wenn auch nur in Teilzeit. Wenn auch nur in privatem Auftrag. Wenn auch die CIA, seine gute alte »Agentur«, der er sein ganzes Erwachsenenleben geopfert hatte, ihn wegrationalisiert hatte – ihn! Max Rushmore, dessen Kontakte in Russland dreimal hintereinander als »höchst eklektisch« prämiert worden waren. Ihn! Maxiboy Rushmore, der binnen neun Monaten Chinesisch gelernt hatte! Mit achtunddreißig! In einem Alter, in dem das Gehirn gar keine neuen grammatischen Formen mehr annehmen kann. Wegrationalisiert! Ihn! Den schmucken Maxi-Million Rushmore, zu dessen unübertragbaren Kompetenzen es gehörte, dass er bis jetzt noch jeden Russen unter den Tisch getrunken hatte.
Max schloss die Augen und atmete tief durch. Ein, zwo-dreivier, aus, zwo-drei. Die Nachricht hatte ihm zu schaffen gemacht, das musste er zugeben. Unter anderem, weil er es überhaupt nicht hatte kommen sehen. Der Vormittag, als die Nachricht ihn erreichte, war wie jeder andere Vormittag auch gewesen – abgesehen davon, dass er die Nacht in seiner kleinen, beigefarbenen Ausweichwohnung in Bethesda verbracht hatte, um seiner Frau Rose ein bisschen Ruhe zu gönnen. Oder um endlich mal wegzukommen von ihren ewigen Renovierungsprojekten und ihrer offenbar fruchtlosen Suche nach der perfekten Kücheninsel (insgesamt drei waren bereits geliefert, installiert, nicht für gut befunden und zurückgeschickt worden und hatten mitten in der Küche eine klaffende Lücke hinterlassen). Rose hatte ihn dazu ermuntert, eine kleine Bude zu mieten, da sie beide eine Pause gebrauchen könnten. Außerdem müsste er dann unter der Woche nicht immer so weit pendeln. Dann hatte sie – seine Rose! – sich von ihm abgewandt, mit diesem geistesabwesenden Zug in ihrem runden, rosa, dänischen Gesicht (ihr Vater war Amerikaner), der sich dort breitgemacht hatte, seit sie den Versuch, Kinder zu bekommen, offiziell aufgegeben hatten. Es war weder seine Schuld noch ihre: Die Ärzte hatten herausgefunden, dass sie aufgrund einer höchst ungewöhnlichen Laune des Schicksals beide unfruchtbar waren.
Rose hatte gelächelt und »Ah« gesagt, als ihnen das mitgeteilt wurde – ein Lächeln, das Max noch nie zuvor gesehen hatte. Brüchig und herzzerreißend. Und sie hatte mit ihrer Patschehand seine Männerhand getätschelt, auf ihre leicht fremdländische Weise, die sich manchmal zeigte, w