Ankommen
Um nach Neuberesinchen zu fahren, mussten wir die Straßenbahn nehmen. In einem der Abteile saßen ein paar alte, schweigsame Damen und Herren. Schon beim Einsteigen spürten meine Kommilitoninnen und ich ihre Blicke. Eine der Frauen starrte verstohlen in unsere Richtung. Ein Mann musterte uns kritisch von oben bis unten. Und ein Dritter schaute demonstrativ weg. Man sah uns an, dass wir nicht aus Frankfurt an der Oder stammten – und auch nicht aus einer anderen deutschen Stadt. Wir suchten uns einen Sitzplatz. Zwei oder drei Reihen vor uns drehte sich plötzlich eine alte Frau um, schaute uns verärgert an, gab ein unverständliches Grunzen von sich und wandte sich wieder ab. Mein erster Gedanke: Wir haben zu laut gesprochen. Wir Kolumbianer schauten uns verwundert an, und die Kommilitonin an meiner Seite flüsterte mir mit ironischem Unterton ins Ohr: »Ich glaube, da hat sich jemand in dich verliebt …«
An meinen ersten Tag in Deutschland erinnere ich mich noch gut. Es war einer von diesen trüben Wintertagen, an denen der Himmel tief und grau über einem hängt. Nach einem elfstündigen Flug von Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens, nach Frankfurt am Main war ich nach Berlin weitergereist. Dort, am Flughafen Tegel, habe ich drei Kolumbianerinnen getroffen, die ebenfalls neu waren in Deutschland. Gemeinsam wollten wir weiter ins »andere Frankfurt«: nach Frankfurt an der Oder. Dort sollten wir ein Austauschsemester an der Europa-Universität Viadrina verbringen. Was als kurze Auslandserfahrung geplant war, wurde für mich zu einem Leben in Deutschland. Seit jenem Wintertag sind 15 Jahre vergangen. Ich bin immer noch in Deutschland – und ich werde auch hier bleiben.
Wenn ich heute an meinen ersten Tag in Frankfurt an der Oder denke, erinnere ich mich an meine gemischten Gefühle: die Aufregung, zum ersten Mal so weit weg von zu Hause zu sein; die Müdigkeit nach der langen Reise; die Unsicherheit, nur Fetzen dessen zu verstehen, was ich um mich herum hörte. Vor allem drei Momente habe ich noch genau vor Augen: einen missmutigen Blick, ein seltsames Gegröle und einen nett gemeinten Satz. Unabhängig voneinander erscheinen diese Momente relativ harmlos. Zusammen aber führten sie dazu, dass ich meine Ankunft in Deutschland als etwas »schwierig« empfand.
Das Erlebnis in der Straßenbahn, sollte nicht das einzige dieser Art bleiben. Während meiner Zeit in Neuberesinchen, etwas mehr als vier Monate, wiederholte es sich so oft, dass sich daraus schließlich ein Spiel entwickelte. Dieses bestand darin, sich unmittelbar vor dem Einsteigen in die Trambahn einen absurden Gruß an die Mitfahrenden auszudenken, der – würde man ihn tatsächlich aussprechen – ihre konsternierten Blicke erklären könnte. Zum Beispiel: »Guten Morgen! Ich bin ein Indianer aus Polen!«
Beim ersten Anblick von Neuberesinchen, der Platten