Wolfgang Leonhard
Zur Einführung
Ein Gott, der keiner war hat einen außerordentlich großen Eindruck auf mich gemacht. Ich las, nein, verschlang das Buch kurz nach seinem Erscheinen Ende 1950, unmittelbar nachdem ich nach anderthalb Jahren Jugoslawien in den Westen Deutschlands gekommen war: Die Anthologie gehörte – nach George Orwells1984 – zu den ersten Büchern, die ich in meinem neuen Leben im Westen las.
Nach meinem Bruch mit dem Stalinismus berührten mich die Schilderungen der sechs Autoren natürlich sehr. Ich suchte damals nach einer eigenen Alternative und durchdachte kritisch viele Dinge, die mir vorher als selbstverständlich richtig erschienen waren. Da für meine Abkehr vom Sowjet-Kommunismus der Bruch Jugoslawiens mit Moskau im Sommer 1948 und die ersten Schritte Titos auf einem neuen Weg zum Sozialismus entscheidend gewesen waren, glaubte ich allerdings zunächst, mich in einer völlig anderen Situation zu befinden als die Autoren. Nach der Lektüre vonEin Gott, der keiner war erkannte ich aber, daß die grundsätzlichen Probleme gleich oder zumindest sehr ähnlich geblieben waren. Auch bei diesen Autoren verdichteten sich die kritischen Gedanken zu oppositionellen Ansichten. Auslöser waren zwar andere historische Ereignisse: die feindselige Kampagne der Kommunisten gegen die Sozialdemokratie während der Weimarer Republik, die den Widerstand gegen den drohenden Nationalsozialismus schwächte, die Niederlage nach Hitlers Machtantritt 1933, die verspätete und teilweise inkonsequente Volksfrontpolitik, die bedenkliche Entwicklung der Sowjetunion, vor allem die Schauprozesse und Massenverhaftungen während der Großen Säuberung von 1936-38 und schließlich das Entsetzen nach dem Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939. Ihre Schilderungen zeigten sehr eindringlich, daß es vor meinem eigenen Bruch bereits ähnliche Situationen und Probleme gegeben hatte, sie bes