Zwei Welten
London, 1876
Sir Aleister Francis B. Devlin war gestorben. Bei nassgrauem Wetter wurde er auf dem Londoner Highgate Cemetery zu Grabe getragen. Ein schwarzer Tross von Regenschirmen bewegte sich durch das exotische Tor, das zur Egyptian Avenue im westlichen Teil des Friedhofs führte, an der Spitze des Zuges der Verstorbene in seinem Schrein, getragen von sechs Männern. Ein schöner Sarg mit Goldbeschlägen, sein Inneres mit blütenweißer Seide ausgeschlagen. Der Bestatter hatte ein Modell aus Mahagoni amerikanischer Provenienz empfohlen. Wie er sagte, vermochte das Edelholz dem Zerfall noch länger zu trotzen als Eiche, und zudem konnte für einen Mann wie ihn nichts gut genug sein, denn Sir Aleister Francis B. Devlin war tatsächlich ein reicher und geachteter Mann gewesen. Konservenfabrikbesitzer.
Dem Sarg und den Trägern folgte ein riesiges Aufgebot an Trauergästen, unter ihnen die Witwe, Eleanor Devlin, sowie ihr zwölfjähriger Sohn Clifton. Obwohl es sein Vater war, der zu Grabe getragen wurde, fühlte der Junge keine Trauer, vielmehr genoss er die skurrile Umgebung mit den Grabsteinen, Grüften und Mausoleen. Tief sog er die feuchte Luft ein, die zart nach Fäulnis und Wachs roch. Seine Mutter, eine gebürtige Schweizerin von kühler Schönheit, ging neben ihm her, ihre Bewegungen von ätherischer Eleganz, als würde sie nie ganz den Boden berühren. Ihr hauchdünner Trauerschleier flatterte im Wind, was Clifton an Fledermäuse erinnerte.
Die Beerdigung lag nun schon Monate zurück, doch Mutter und Sohn hatten seither kaum miteinander geredet. Das war nicht weiter verwunderlich, Clifton hatte nie eine große Rolle im Leben seiner Mutter gespielt. Eleanors Aufmerksamkeit hatte in erster Linie ihrem Mann und ihren Vergnügungen gegolten.
Während der Zwölfjährige den Vater nicht vermisste und sich weiter in seine einsame, morbide Unterwelt zurückzog, verharrte Eleanor in stilvoller Trauer, verbrachte die Tage im düsteren Labyrinth ihres feudalen Anwesens. War die Villa, die man wegen ihrer Fassade aus rotem Granit Red Mansion nannte, zu Lebzeiten des Fabrikanten ein Ort der Bälle und Bankette gewesen, war es nun still geworden hinter den neugotischen Mauern. Eleanor wurde erdrückt von diesem bleiernen Gefühl der Verlassenheit, und weil sie zudem eine Frau ohne inneren Antrieb war und nichts mit sich anzufangen wusste, begann sie, unnütze Dinge zu tun, redete mit den Rosen im Garten, rückte das Silber in den Vitrinen zurecht oder gab dem Personal überflüssige Anweisungen.
Im November machte sie in der Nähe der Westminster Abbey ein paar Besorgungen. Da der Abend nahte und die Themse ihren grauen Atem ausstieß, nahm sie eine Abkürzung, um möglichst schnell eine Kutsche zu mieten und sich in die Red Mansion fahren zu lassen. Während sie durch eine der Gassen hastete, gewahrte sie die Umrisse einer alten Frau. Die gebeugte Gestalt stand am Rande eines Gaslichts, sodass sie diese kaum erkennen konnte. Eleanor wusste nicht, weshalb, aber sie konnte nicht an der Fremden vorbeigehen. Irgendetwas war an ihr, das sie neugierig hinüberschielen ließ. Sie