: José Ortega y Gasset
: Vom Menschen als utopischem Wesen Vier Essays
: Europa Verlag GmbH& Co. KG
: 9783905811544
: 1
: CHF 6.20
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: Philosophie, Religion
: German
: 214
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ernst Robert Curtius sagte über José Ortega y Gasset: 'Er ist vielleicht der einzige Mensch in Europa, dem es gegeben und gemäß ist, mit der gleichen Intensität des Interesses, der gleichen Sicherheit des Urteils, dem gleichen Glanz der Formulierung über Kant wie über Proust, über Debussy wie über Scheler zu sprechen. Zwischen vorgeschichtlichen Kulturen und kubistischer Malerei scheint es nichts zu geben, was diesen Kritiker nicht interessierte.' Das Buch 'Vom Menschen als utopischen Wesen', das im Europa Verlag erstmals im Jahre 1951 erschien, versammelt vier Essays, die Curtius' Urteil begründen: Ideen und Glaubensgewißheiten, Insichselbst-Versenkung und Selbstentfremdung, Glanz und Elend der Übersetzung und Ideen für eine Geschichte der Philosophie. Ob Ortega von den Phänomenen des Denkens und Glaubens, der Selbstversenkung und -entfremdung ausgeht oder von der Geschichte der Philosophie: nach wenigen Sätzen ist er in den Tiefen der Problematik und - wie er meint - des wesentlich utopischen Charakters des menschlichen Tuns. Er öffnet dem Leser die Augen für Einsichten und Zusammenhänge, die ihm bis dahin, wenn nicht fremd, so doch nicht klar bewußt waren. ' Das Schicksal - das Privileg und die Ehre - des Menschen ist es, niemals ganz zu erreichen, was er sich vornimmt und bloßer Anspruch, lebende Utopie zu sein. Immer schreitet er der Niederlage entgegen, und schon ehe er in den Kampf eintritt, trägt er die Wunde an der Schläfe.' (Ortega y Gassett)

Eberhard Straub

Zur Einführung

Während des Ersten Weltkrieges hatte sich die Vorstellung von Europa als geistig gesicherter Selbstverständlichkeit aufgelöst. Zum ersten Mal in ihrer gemeinsamen Geschichte faßten die Europäer einen Krieg untereinander als erbitterten Kulturkampf auf. Selbst die heftigen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit den Konfessionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts hatten die gesellschaftliche Einheit Europas nicht erschüttern können. Die internationale Aristokratie und wer ihr diente, Maler, Musiker, Gelehrte oder Dichter, die vornehme Welt und deren Interpreten waren nicht dazu übergegangen, einen perfekten Kavalier allein nach seinem Glaubensbekenntnis zu beurteilen oder gar zu verurteilen. Religion wurde zur Privatsache, die schönen Sitten, adeliger Anstand und guter Geschmack blieben eine verbindliche und öffentliche, eine vor-staatliche, gesellschaftliche Macht, die ihre Grundsätze gefälliger Lebensformen in einem langen Abwehrkampf zu behaupten wußte.

Um 1900 mußte ein europäischer Gedankenaustausch nicht eigens organisiert werden. Trotz lebhaft konkurrierender Nationalismen kannte sich der Adel der Herkunft, des Geistes und der etwas zweifelhafte des Geldes untereinander, besuchte sich oder setzte in zahllosen Briefen ein imaginäres Gespräch fort. Ein Netz von Freundschaften, erotischen Passionen oder zwanglosen Bekanntschaften hielt dieses „vergesellschaftete" Europa zusammen, dem am unteren Ende die Internationale der Arbeiterschaft entsprach, die ihre Aufgabe darin erkannte, sich diesem Europa der Europäer einzufügen. Diese Welt zerbrach an den wechselseitigen politischen und ideologischen Schuldzuweisu