: Ludwig Tieck
: Die sieben Weiber des Blaubarts
: Europa Verlag GmbH& Co. KG
: 9783905811254
: 1
: CHF 4.40
:
: Erzählende Literatur
: German
: 220
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die erste Mordserie der deutschen Literatur! Arno Schmidts Lieblingstieck! Die 1797 erstmals erschienene Erzählung Die sieben Weiber des Blaubart fällt wegen ihrer auf den ersten Blick provozierenden Sinnlosigkeit aus dem Rahmen. Der Literaturkritiker Rudolf Haym sah sich 1870 in ein Kasperletheater versetzt und schloss das Kunstmärchen in seinem Buch Die romantische Schule aus dem Literaturkanon aus. Auch mit den phantastischen und magischen Elementen des Romans konnte er wenig anfangen. Der Roman wurde von Kritik und Publikum ignoriert und verschwand aus Tiecks Werkausgaben. Zu unrecht! Die Darstellunsgparodie entpuppt sich als ein Sammelsurium von genialen Anspielungen auf Goethe, Klopstock und Perrault. Tieck nimmt die Liebeskonzepte seiner Zeit zum Anlass und erzählt so die erste unfreiwillige Mordserie eines Ritters.

 

E R S T E S   K A P I T E L .

Moralität.

 

So oft ich über dieses Wort nachgedacht habe, habe ich immer empfunden, daß das Denken darüber mit vielen Schwierigkeiten verbunden sei. Ein Mann, der viel Erfahrung in tausend Sachen hat, hat mich versichern wollen, daß man sich sogar beim vielen Denken leicht der Gefahr aussetze, über alle diese Grübeleien konfus zu werden, und plötzlich, ohne daß man wisse wie es geschehe, unmoralisch zu handeln. Ja, fügte er hinzu, es gibt so wunderbare Seiten in dieser Wissenschaft, so seltsame Ansichten, daß einem raffinierenden Kopfe gerade das höchst moralisch vorkommen kann, was der gewöhnliche Dilettant der Moralität schändlich nennen würde, und wie es bei allen übrigen Künsten geht, daß man nur dadurch Kenner wird, indem man den einseitigen Enthusiasmus verliert, so auch hier. Der Mann, den ich hier nicht nennen will, weil seine Bescheidenheit darüber erröten würde, schwur mir zu, die ganze Welt nenne ihn bloß deswegen den elendesten Egoisten, weil er im Grunde gar zu uneigennützig sei, und er sei schon zuweilen darauf gekommen, etwas von seiner strengen Tugend nachzulassen, damit ihn die Menschen nur besser verstehn möchten.

So mag es hin und wieder gar Manchem gehn; zu großer Glanz wird wieder Finsternis, indem er die gewöhnlichen Augen blendet. Viele Leute üben die großen Tugenden aus und müssen dann notwendig die kleinen vernachlässigen, denn man kann nicht alles in allem sein. Ich weiß hundert meiner Bekannten, die von Tag zu Tag darauf warten, das Vaterland zu retten, eine Erfindung zu machen, die der ganzen Erde wohltätig ist, einen Telegraphen zu entdecken, der vom Volke hinaus bis zur Regierung reiche, um beide mit einander sich über ihre wahre Lage besprechen zu lassen; aber dergleichen Leute können sich unmöglich mit jenen Bagatellen von Tugenden abgeben, die nur den Subaltern kleiden. Wo die übrigen Erdbewohner Berge und Täler sehn, können sie nicht einmal Hügel bemerken, weil ihr Standpunkt zu erhaben ist.

Es gibt noch tausend andre Rücksichten und Gründe und Ursachen, warum es mit der ganzen Moralität in der Welt nicht so recht fort will. Der Leser kann unmöglich verlangen, daß ich hierüber zu weitläufig sehn sollte, denn niemand anders, als er, würde es mit der Langenweile entgelten müssen, denn ich sehe mich hier genötigt, die Ehre zu haben, zu versichern, daß es mir so ziemlich einerlei ist, was ich schreibe, wie es denn jedem redlichen Schriftsteller sein muß, und indem ich mich über die Tugend recht weitläufig ausließe, fände ich vielleicht Gelegenheit, mich selber noch zu bessern. Außer des Lesers Langeweile gibt es aber noch eine andre und viel bessere Ursach, warum ich hier abbreche; der Leser wird sie weiter unten erfahren.

Der größte Teil der bewohnten Welt hat nun auch eingesehn, daß die Moralität zwar an sich etwas Vortreffliches sei, daß sie jeder Mensch auch kennen lernen müsse, eben so wie er Rezensionen lesen muß, um im Stande zu sein, ein Urteil zu fällen, od