ANSTELLE EINES VORWORTS:
Todesnachrichten kommen nie zur rechten Zeit
22. November 1999
Mein Vater ist tot. Gegen sieben Uhr morgens hat das Telefon geklingelt. Es war die Todesnachricht. Ich wusste schon vorher, dass sie es ist. Nicht, dass ich sie erwartet hätte. Nicht mehr jedenfalls als an irgendeinem anderen Morgen in den letzten – wie vielen eigentlich? – Jahren. Obwohl die Nachricht an sich zu erwarten war: Schlecht ging es ihm, seit er sich endgültig aus der Öffentlichkeit verabschiedet hatte. Seit einigen Jahren wunderte ich mich, wie schlecht es einem Menschen gehen konnte, ohne dass er daran tatsächlich starb; wie schlecht es einem gehen musste, bis man daran sterben konnte. Denn eigentlich war es wohl das, was er erreichen wollte, mit dem, was er tat – oder ebenso nicht tat: sterben. Ich fragte mich, wie viel man trinken, rauchen, leiden konnte, ohne dass es das endgültige Ende bedeutet hätte. Ein kleines Ende war seither jede unserer Begegnungen gewesen. Im freien Fall von der Lichtgestalt zum enttarnten Spitzel – ich war beiden gegenüber skeptisch. Doch nun ist er tot; und er ist mein Vater.
Er war mein Vater. Bis ich mich dieser Tatsache ohne Skrupel und mit der nötigen Selbstsicherheit immer und überall stellen kann, dauert es noch mehr als ein Jahrzehnt – zu emotional ist meine Umwelt noch, bezogen auf das Reizwort »Stasi«, bezogen auf die ganze, nie wirklich aufgearbeitete Wendegeschichte, letztlich bezogen auch auf ihn. So viel Verachtung für den Verräter – durchaus nachvollziehbar. Und andererseits ist immer noch eine seltsame Faszination zu spüren, der manch einer seiner alten Freunde nach wie vor anzuhängen scheint. Mit mir hat beides eigentlich nicht viel zu tun, und doch prägt es das, was ich hier erlebe. Angst haben mir beide Seiten gemacht, seit sie in mein Bewusstsein gedrungen sind.
Wirklich greifbar ist mein Vater nie gewesen, auch in den Momenten nicht, in denen ich ihn tatsächlich anfassen konnte. Da vielleicht überhaupt am wenigsten. Zu unsicher bin ich in dieser Zeit – bezogen darauf, was passieren würde, wenn ich die Flucht nach vorn ergriffe, wenn es um den Spitzel Böhme geht, der mein Vater war. Auf Nachfrage verschweige ich ihn nicht; das habe ich nie getan. Doch noch bin ich nicht mutig genug, per se zu sagen, wie das mit meiner Familie ist. Kein Wunder: Ich bin in der DDR groß geworden.
Vielleicht hätte ich viel früher auf mein Gegenüber zumarschieren sollen, offensiv, handschüttelnd: »Guten Tag, ich bin Tatjana Böhme(-Mehner), seit x Jahren schreibe ich vor allem über Musik. Nichtsdestotrotz bin ich