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»Ich biete mich als Date für die Hochzeit an.«
Nicht mal in meinen wildesten Träumen – und glaubt mir, ich habe eine tolle Fantasie – hätte ich damit gerechnet, diese Worte von dieser tiefen, vollen Stimme zu hören.
Ich senkte den Blick auf meine Kaffeetasse und kniff die Augen zusammen, um nachzuschauen, ob darin vielleicht bewusstseinsverändernde Substanzen schwammen. Das hätte zumindest erklärt, was hier vor sich ging. Aber nope.
Nichts. Nur die Reste meines Americano.
»Ich werde es machen, wenn du so dringend jemanden brauchst«, erklang erneut diese tiefe Stimme.
Ich riss die Augen auf. Hob den Kopf. Öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu.
»Rosie …«, flüsterte ich. »Ist er wirklich da? Kannst du ihn sehen? Oder hat jemand mir ohne mein Wissen etwas in den Kaffee gemischt?«
Rosie – meine beste Freundin und Kollegin bei InTech, der in New York ansässigen, technischen Beratungsagentur, in der wir uns kennengelernt hatten – nickte langsam. Ich beobachtete, wie ihre dunklen Locken wippten, ein ungläubiger Ausdruck auf ihrem sonst so freundlichen Gesicht. Sie senkte die Stimme. »Nope. Er steht hier.« Sie spähte kurz um mich herum. »Hi. Guten Morgen!«, sagte sie fröhlich, bevor sie meinen Blick wieder auffing. »Direkt hinter dir.«
Mit offenem Mund starrte ich meine Freundin an. Wir standen am Ende des Flurs im elften Stock der InTech-Zentrale. Unsere Büros lagen nah beieinander, also hatte ich in dem Moment, in dem ich das Gebäude im Herzen Manhattans in der Nähe des Central Parks betreten hatte, ihr Büro aufgesucht.
Eigentlich hatte ich vorgehabt, mir Rosie zu schnappen und es mir mit ihr auf den gepolsterten Holzsesseln im Flur gemütlich zu machen. Die Sitzecke war als Wartebereich für Klienten gedacht, aber gewöhnlich war sie so früh am Morgen nicht in Gebrauch. Doch wir hatten sie nie erreicht. Irgendwie hatte ich die Bombe schon platzen lassen, bevor wir uns setzen konnten. So dringend musste ich Rosie von meinem aktuellen Dilemma berichten. Und dann … dann war wie aus dem Nichtser erschienen.
»Soll ich mein Angebot noch ein drittes Mal wiederholen?« Seine Frage jagte einen weiteren Stich des Unglaubens durch meinen Körper und ließ das Blut in meinen Adern gefrieren.
Das würde er nicht tun. Nicht, weil er es grundsätzlich nicht konnte, sondern weil seine Worte einfach keinen verdammten Sinn ergaben. Nicht in unserer Welt. Einer Welt, in der …
»In Ordnung. Dann bitte«, seufzte er. »Du kannst mich mitnehmen.« Er hielt inne, und mir wurde erneut kalt. »Zur Hochzeit deiner Schwester.«
Ich wurde ganz steif. Meine Schultern verkrampften sich.
Das spürte ich, weil die Satinbluse, die ich in meine beige Stoffhose gesteckt hatte, plötzlich spannte.
Ich kann ihn mitnehmen.
Zur Hochzeit meiner Schwester. Als mein … Date?
Ich blinzelte, während seine Worte in meinem Kopf widerhallten.
Dann zerbrach irgendetwas in mir. Die Absurdität dieser seltsamen Situation – offensichtlich versuchte dieser Mann, dem ich nicht vertraute, mir einen fiesen Streich zu spielen – sorgte dafür, dass ein Lachen in meiner Kehle aufstieg und über meine Lippen kam, schnell und laut. Fast, als hätte meine Erheiterung es eilig gehabt.
Hinter mir erklang ein Brummen. »Was ist daran so witzig?« Seine Stimme wurde kälter. »Ich meine das vollkommen ernst.«
Ich unterdrückte eine weitere Lachsalve. Das glaubte ich ihm einfach nicht. Keine Sekunde lang. »Die Chancen, dasser«, erklärte ich Rosie, »es tatsächlich ernst meint, sind ungefähr so groß, wie dass Chris Evans aus dem Nichts erscheint und mir seine unsterbliche Liebe erklärt.« Theatralisch sah ich nach rechts und links. »Aber er ist nicht hier. Also, Rosie, du hast gerade irgendetwas von … Mr Frenkel erzählt, richtig?«
Es gab keinen Mr Frenkel.
»Lina«, meinte Rosie mit dem breiten, gekünstelten Lächeln, das sie immer aufsetzte, wenn sie nicht unhöflich sein wollte. »Er wirkt, als meinte er es ernst«, verkündete sie, immer noch mit diesem unheimlichen Strahlen. Sie musterte den Mann hinter mir. »Jep. Ich glaube, er könnte es ernst meinen.«
»Nope. Kann nicht sein.« Ich schüttelte den Kopf und weigerte mich weiterhin, mich umzudrehen, und so anzuerkennen, dass meine Freundin vielleicht recht hatte.
Das konnte einfach nicht sein. Auf keinen Fall würde Aaron Blackford, Kollege und meine ständige Heimsuchung, so etwas anbieten. Nie. Mals.
Hinter mir erklang ein ungeduldiges Seufzen. »Das wird langsam langweilig, Catalina.« Ein langer Moment der Stille. Dann ein weiteres, lautes Seufzen, diesmal länger. Aber ich drehte mich nicht um. Ich ließ mich nicht unterkriegen. »Mich zu ignorieren, lässt mich nicht verschwinden. Das weißt du.«
Das wusste ich in der Tat. »Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich es nicht weiter versuchen kann«, murmelte ich leise.
Rosie nagelte mich mit einem Blick fest. Dann spähte sie erneut um mich herum, immer noch breit grinsend. »Tut mir leid, Aaron. Wir ignorieren dich nicht.« Sie lächelte angestrengt. »Wir … diskutieren gerade etwas.«
»Wir ignorieren ihn absolut. Du musst keine Rücksicht auf seine Gefühle nehmen. Er hat keine.«
»Danke, Rosie«, sagte Aaron zu meiner Freundin und klang nicht mehr so kühl wie sonst oft. Nicht, dass er je zu irgendwemnett wäre. Nettigkeit gehörte nicht zu Aarons Verhaltensrepertoire. Ich war mir nicht mal sicher, ob er freundlich seinkonnte. Aber wenn es um Rosie ging, war er immer schon ein bisschen weniger … grimmig gewesen. Er zeigte ihr gegenüber eine Höflichkeit, die er mir gegenüber nie an den Tag gelegt hatte. »Glaubst du, du könntest Catalina sagen, sie möge sich umdrehen? Ich wüsste es wirklich zu schätzen, von Angesicht zu Angesicht mit ihr zu sprechen statt mit ihrem Hinterkopf.« Sein Tonfall wurde eisig. »Natürlich nur, wenn das nicht eines ihrer Späßchen ist, die ich scheinbar nie verstehe und schon gar nicht witzig finde.«
Hitze stieg in meinem Körper auf und drängte bis in meine Wangen.
»Sicher«, stimmte Rosie zu. »Ich glaube … das müsste ich schaffen.« Ihr Blick huschte von einer Stelle hinter mir zu meinem Gesicht, dann zog sie die Augenbrauen hoch. »Lina, also, ähm, Aaron bittet dich, dich umzudrehen, falls das nicht eines deiner Späßchen …«
»Danke, Rosie. Ich habe es mitbekommen«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Meine Wangen brannten. Ich verweigerte kategorisch, mich umzudrehen. Dann hätte er gewonnen – was auch immer für ein Spiel er spielen mochte. Außerdem hatte er mich gerade »schon gar nicht witzig« genannt. Ausgerechnet er. »Sei doch so nett, und sag Aaron, dass ich nicht glaube, dass man über Scherze lachen oder sie auch nur verstehen kann, wenn einem jeder Sinn für Humor abgeht. Das wäre toll. Danke.«
Rosie kratzte sich am Kopf und warf mir einen flehenden Blick zu.Zwing mich nicht dazu, schienen ihre Augen zu sagen.
Ich riss die Augen weiter auf, womit ich ihr Flehen ignorierte und sie meinerseits anbettelte, mitzuspielen.
Sie stieß den Atem aus, dann sah sie ein weiteres Mal hinter mich. »Aaron«, sagte sie, und ihr gezwungenes Grinsen wurde noch breiter. »Lina denkt, dass …«
»Ich habe sie gehört, Rosie. Vielen Dank.«
Ich war so auf ihn konzentriert – auf die Situation –, dass ich sofort die leichte Veränderung in seinem Tonfall bemerkte – zu der Stimme, die er nur bei mir verwendete. Genauso kalt und trocken wie immer, aber mit einer zusätzlichen Schicht Missachtung und Distanz. Die Stimme, die meistens mit einer finsteren Miene einherging. Ich musste mich nicht mal umdrehen und ihn ansehen, um das zu wissen. Diese Miene zeigte er scheinbar immer, wenn es um mich ging und diese … Sache zwischen uns.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Worte Catalina dort unten durchaus erreichen, aber wenn du ihr ausrichten könntest, dass ich zu arbeiten habe und keine weitere Zeit auf dieses Theater verschwenden kann, wäre das sehr freundlich.«
Da unten? Dämlich riesiger Mann.
Meine Körpergröße war...