: Mary Beth Keane
: Mit dir bis ans andere Ende der Welt Roman | Ein bewegender Familienroman von der Autorin des New-York-Times-Bestsellers 'Wenn du mich heute wieder fragen würdest'
: Eisele eBooks
: 9783961611522
: 1
: CHF 14.30
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: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 464
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Eine Autorin mit einer außergewöhnlichen Tiefe, viel Gefühl und Witz.' Meg Wolitzer Greta Cahill und ihre Schwester Johanna kennen nichts anderes als das einfache Landleben im Irland der 1960er Jahre. Doch während Greta sich dort zuhause fühlt, träumt Johanna von einem Leben unterwegs, ungebunden und frei. Als in der Familie ein Unglück geschieht, finden sich die beiden auf einem Schiff Richtung New York wieder - eine Reise, die ihr Leben für immer verändern wird.

MARY BETH KEANE ist irischer Abstammung und machte ihren Master of Fine Arts an der University of Virginia. Ihr Roman Wenn du mich heute wieder fragen wu?rdest war ein New York Times Bestseller und auch in Deutschland ein großer Erfolg. Derzeit arbeiten die Produzenten von American Beauty an einer Umsetzung des Stoffs als TV-Serie. Nach Mary Beth Keanes Debütroman Mit dir bis ans andere Ende der Welt ist Sieben Tage einer Ehe ihr dritter Roman auf Deutsch. Mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen lebt Mary Beth Keane in der Nähe von New York.

2007

UM GENAU6.16 Uhr an einem Freitagmorgen blickte der Pförtner der Champion-Tiefgarage vom Neun-Zoll-Monitor seines Fernsehers auf und sah Michael Ward auf den Baustellenparkplatz an der Ecke 30th Street und Tenth Avenue fahren. Der ist immer der Erste, dachte der Pförtner, während er zur Garageneinfahrt schlenderte und sich unter die Leuchtstoffröhre stellte. Als Michael zu ihm hinübersah, nickte der Pförtner ihm zu. Michael hob den Arm und erwiderte das Nicken. Gleich war Schichtwechsel bei den Sandhogs oder Sandschweinen, wie die Tunnelarbeiter von New York City genannt wurden, und wie jeden Morgen beobachtete der Pförtner die ankommenden Autos in der Hoffnung, dass es zu viele sein würden und einige daher gezwungen wären, in seiner Tiefgarage zu parken.

Wenn nichts Gutes im Fernsehen lief, schaute der Pförtner von seinem Stuhl in die Morgendämmerung hinaus und zählte erst die parkenden Autos der Sandhogs und dann die aussteigenden Männer, die sich kurz reckten, bevor sie hinter dem Aluminiumzaun verschwanden, der die Baustellengrenze markierte. Von seinem Stuhl aus konnte er allerdings beim besten Willen kein Bauwerk erkennen. Als er Michael dabei zusah, wie er die Anti-Diebstahl-Kralle am Lenkrad seines kleinen roten Corolla befestigte und dann um das Auto herumlief, um sich zu vergewissern, dass alle Türen verriegelt waren, fiel dem Pförtner wieder ein, dass Mr. Zan von der Verwaltung gesagt hatte, dass die Sandhogs nicht bauten, sondern gruben. Sie gruben tief unter der Stadt, unter den U-Bahn-Tunneln, dem Hudson River, der East Side, Roosevelt Island und Queens. »Stell dir den höchsten Wolkenkratzer vor, den du hier bisher gesehen hast«, hatte Mr. Zan gesagt. »Und jetzt stell dir vor, er würde nicht nach oben, sondern nach unten ragen. So tief graben sie.« Als der Pförtner fragte, warum, zuckte Mr. Zan mit den Schultern. Wer wusste das schon? In Amerika gruben sie, nur um etwas zu tun zu haben.

Die Sonne war vor zwanzig Minuten aufgegangen, doch ihre Strahlen hatten den westlichsten Abschnitt der30th Street noch nicht erreicht. Als Michael Ward im schwachen Lichtschein auf seine Armbanduhr schaute, konnte er kaum die Zeiger erkennen. Außerdem hatte er das Gefühl, etwas vergessen zu haben, aber was war es nur? Dieses nagende Gefühl überkam ihn neuerdings öfter, wie ein Härchen, das immer wieder seine Haut streifte, ohne dass er es entdecken konnte. Er blieb mitten auf dem Parkplatz stehen. Bestimmt fiel es ihm gleich ein. Er ging den Morgen noch einmal durch: Er war aufgestanden, hatte Greta in der Küche getroffen, war die einsamen Kurven des Palisades Parkway entlanggefahren … Plötzlich fragte er sich, warum er stehengeblieben war. Er blickte an sich hinunter und sah sein Lunch-Paket in einer Plastiktüte in seiner Faust baumeln. Greta hatte alles ordentlich eingepackt, so wie immer; sogar die Limonadendose hatte sie mit zwei Lagen Alufolie umwickelt. »Damit sie schön kalt bleibt«, sagte sie fast jeden Morgen, wenn sie ihm sein Lunch-Paket gab. Den Trick hatte sie1969 gelernt, als ihre älteste Tochter Julia in den Kindergarten kam. Seit Julia ihr erzählte, was sie in den anderen Brotdosen gesehen hatte, wickelte Greta Limonadendosen stets in Alufolie ein. Michael arbeitete nun seit siebenunddreißig Jahren im Tunnel, aber er hatte es nie übers Herz gebracht, Greta zu sagen, dass in dieser Tiefe eh alles kalt wurde, Folie hin oder her.

Die übrigen Sachen, die er für seine Schicht brauchte, befanden sich in seinem Spind. Der Zahlencode für sein