Der Beckenboden und seine Schwachstellen
Die meisten Menschen haben nur eine sehr vage Vorstellung davon, was der Beckenboden eigentlich ist und welche Probleme auftreten können – lassen Sie uns das ändern!
Der Beckenboden ist der untere Abschluss unseres Bauchraumes und besteht in erster Linie aus Muskeln und Bindegewebe. Dies sind gleichzeitig die beiden Hauptstrukturen, die Ärger bereiten können: das Bindegewebe zum Beispiel durch eine allgemeine erblich bedingte Bindegewebsschwäche, aber auch durch Verletzungen unter der Geburt. Denn das Bindegewebe in Form von Bändern und Faszien gibt nicht nur den Organen Halt, sondern findet sich auch im Beckenboden selbst wieder. Die zweite Struktur, die Muskulatur, kann ebenfalls einfach nur schwach sein, bei vielen Frauen ist sie jedoch durch eine Geburt verletzt. Beim Gebären können die Muskeln sehr stark überdehnt werden, aber, und das ist eine relativ neue Erkenntnis, sie können unter der Geburt auch an- oder abreißen. Das kann zum Beispiel bei einer sehr langen und intensiven Austreibungsphase passieren, aber auch durch ein Missverhältnis zwischen mütterlichem Becken und kindlichem Kopf. Zusätzlich zu dem erst einmal von außen nicht sichtbaren Schaden an der Beckenbodenmuskulatur kann es unter der Geburt auch zu einem Dammriss kommen, d.h., das Gewebe zwischen Scheide und After reißt ein. Bei einem Dammriss 3. und 4. Grades kommt es zum Einriss/Durchriss des Afterschließmuskels.
Ganz abgesehen von den Belastungen, denen der Beckenboden unter der Geburt ausgesetzt ist, steht fest: Da wir nicht mehr als Vierfüßler unterwegs sind, hat der kleine Beckenboden den lieben langen Tag schwer zu arbeiten, weit mehr als viele andere Bereiche unseres Körpers:
Nicht nur diese gegensätzlichen Funktionen machen den Beckenboden störungsanfällig, sondern auch die geringe Masse an Gewebe. »Beckenboden« hört sich gewaltig an, aber er ist nur ungefähr so groß und dick wie die eigene Hand.
Hinzu kommt: Viele Muskelzellen werden im Laufe des Lebens, spätestens in den Wechseljahren, durch Bindegewebszellen ersetzt und dadurch schwinden die Reaktionsfähigkeit und die Elastizität. Deshalb zeigen sich Probleme häufig erst in diesem Lebensabschnitt.
Der Beckenboden ist also klein, aber wichtig und stark beansprucht. Hand aufs Herz: Tun wir genug dafür, ihn fit zu halten? Ist sein Training ein fester Bestandteil unserer täglichen Gesundheitsroutine? Meistens ist das erst der Fall, wenn sich Probleme zeigen. Und selbst dann unternehmen nicht alle Frauen etwas, weil sie glauben, dass die Beschwerden normal oder der Preis für das Kinderkriegen seien. Selbst viele Ärzte sagen: »Aber dafür haben Sie doch ein Kind auf die Welt gebracht, dann ist es doch nicht so schlimm, wenn’s mal träufelt oder die Organe nach unten drücken.«
Zum Glück kommt diese Ansicht seit einigen Jahren zunehmend aus der Mode und die meisten Frauen sind nicht mehr bereit, Inkontinenz und Senkungsbeschwerden einfach hinzunehmen.
Es ist nie zu spät, mit dem Training zu beginnen. Lassen Sie uns also loslegen und Beschwerden und muskulären Abbauprozessen ein Ende bereiten.
Beckenbodenprobleme
Es gibt drei primäre Beschwerdebilder beim Beckenboden. Vermutlich werden Sie sich in mindestens einem wiedererkennen, wenn Sie bereits Probleme haben:
1. Belastungsinkontinenz
Belastungsinkontinenz bedeutet, dass der Beckenboden bei einer erhöhten Belastung nicht in der Lage ist, diesem Druck standzuhalten. Das Hauptsymptom bei einer Belastungsinkontinenz ist der unwillkürliche Abgang von Urin und/oder Wind und/oder Stuhl.
Was kann eine Belastung sein? Zum Beispiel
Niesen, Husten
Lachen
Hüpfen, Springen, Laufen
Heben
Aufstehen und Hinsetzen
Treppensteigen
Gehen
Schauen Sie die beiden Bilder an: Die Frau hustet. Dadurch erhöht sich der Druck im Bauchraum.
Bei a) hebt sich der Beckenboden 1 Millisekunde vorher an, dadurch bleibt die Harnröhre geschlossen
Bei b) fehlt die Reaktion des Beckenbodens und der Hustendruck wird direkt an die Harnröhre weitergeleitet: Sie öffnet sich und Urin tritt aus.
Wenn wir »dicht«, also kontinent sind, können wir dem größer werdenden Bauchraumdruck standhalten. Das machen unsere Rumpfmuskeln in Teamarbeit: Die Beckenbodenmuskeln arbeiten mit den Bauch- und Rückenmuskeln zusammen. Alle müssen gemeinsam funktionieren. Und schon verstehen Sie, warum es wichtig ist, auch die Bauch- und Rückenmuskeln in das Training mit einzubeziehen. Das wird sogar noch wichtiger, wenn es zum Beispiel zu einer Verletzung unter der Geburt gekommen ist: Dann müssen die anderen Teampartner doppelt fit sein.
Auch der Zeitfaktor spielt eine wesentliche Rolle: Wenn der Beckenboden erst eine Sekunde nach dem Hustenstoß anspannt, nützt das natürlich nichts. Darum werden wir viel Schnellkraft- und Reaktionstraining machen.
Reaktion bei erhöhtem Bauchraumdruck
Habe ich das auch? Die entscheidende Frage: Verlieren Sie ungewollt Urin und/oder Winde und/oder Stuhl? Wenn Sie diese Frage mit »Ja« beantworten, haben Sie eine Belastungsinkontinenz. Willkommen im Club der offiziell mindestens 9 Millionen Deutschen, die inkontinent sind. Und da es sich hier nach wie vor um ein absolutes Tabuthema handelt, ist die richtige Zahl vermutlich noch viel, viel größer.(1)
Sollte ich mit meiner Ärztin sprechen? Ja, unbedingt. Unsere Gesundheitsversorgung wird umso besser werden, je mehr Menschen sich mit diesem Thema den Ärzten anvertrauen. Eine wichtige Information: Frau muss kein Kind geboren haben, um inkontinent zu sein. Und selbst wenn Sie Mutter sind, ist nicht zwingend die Schwangerschaft schuld. Falls Sie schwanger waren und in der Schwangerschaft schon das ein oder andere Mal Urin verloren haben, war das bereits der Beginn Ihrer persönlichen Inkontinenz-Geschichte und nicht das Köpfchen Ihres Babys, wie es immer so verniedlichend gesagt wird.
2. Senkungsbeschwerden
Senkungsbeschwerden entstehen, wenn es im Beckenboden vorübergehend oder dauerhaft zu einem Senkungsgefühl oder einer Senkung der drei dafür infrage kommenden Organe kommt: der Blase, des Darms und der Gebärmutter.
Schauen Sie sich bitte die▶ Bilder an:
Bild a) Die drei Organe des Unterleibs befinden sich hier am richtigen Platz.
Bild b) Der Bereich der vorderen Scheidenwand ist betroffen: Senkung der Blase
Bild c) Der Bereich der hinteren Scheidenwand ist betroffen: Senkung des Darmes
Bild d) Die Mitte der Scheide ist betroffen: Senkung der Gebärmutter.
Bild e) Hier sind alle Organe abgesenkt.
Je stärker die Senkung ausgeprägt ist, desto höher der Grad der Senkung (Grad 1 bedeutet eine leichte Senkung, bei Grad 3 bis 4 treten die Organe am Beckenboden aus).
Das Hauptsymptom bei einer Senkung ist der Druck zwischen den Beinen nach unten, häufig verbunden mit einem Fremdkörpergefühl direkt zwischen den Beinen. Dieses Gefühl und der Druck können sich im Laufe des Tages verstärken.
Habe ich das auch? Tasten und gucken Sie mit einem Spiegel zwischen den Beinen und guten Lichtverhältnissen im...