: Rose Bloom
: YOU Weil ich dich sehe
: tolino media
: 9783754659625
: 1
: CHF 2,40
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 203
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ich bin doch ganz nett, oder?« Mit meiner Aussage entlockte ich ihm ein schmales Lächeln. Seine Lippen waren wie dafür geschaffen. Es war ein deutlich schönerer Anblick, als die harte Linie, die er sonst zeigte. Es heißt, er war im Gefängnis. Es heißt, jemand wie er macht nur Ärger. Es heißt, Mädchen wie ich sollten die Finger von solchen Jungs lassen. Aber ich sehe nicht die Tattoos oder dass sein Körper praktisch dafür gemacht wäre, einem anderen Menschen Schaden zuzufügen. Ich sehe die unsichtbaren Narben, die noch viel schwerer wiegen als die sichtbaren. Ich sehe seine Augen. Stumpfe, dunkelgrüne Augen. Sie tragen die gleiche Trauer in sich, die mir jeden Atemzug erschwert. Denselben Schmerz, der an mir zerrt und mich bald zerreißt. Ich sehe nicht den großen bösen Jungen. Ich sehe nur einen Verbündeten.

In Rose Blooms Familie hatten Bücher schon immer einen hohen Stellenwert. Im Grundschulalter entdeckte sie selbst das Schreiben und konnte es nach einer längeren Pause niemals wirklich sein lassen. Rose Blooms Bücher zeichnen sich vor allem aus durch viel Gefühl, Liebe und Leidenschaft in einem bildlichen Schreibstil. Sie möchte den Leser vollständig in die Geschichte saugen, genauso wie sie beim Schreiben völlig darin aufgeht.

 

 

 

 

Kapitel 2


Vince

 

 

»Weißt du eigentlich, was für ein egoistischer Wichser du bist?« Meine Brust hob sich schwer unter meinen tiefen Atemzügen. Die Wut beherrschte jede einzelne meiner Körperzellen. Jeden Tag wuchs sie um ein Vielfaches weiter an und ich hatte immer mehr Mühe, sie unter Kontrolle zu bringen. »Wenn du wenigstens zurückrufen würdest, aber … ach weißt du was, fick dich, Chase!«

Ich tippte deutlich zu fest auf den roten Hörer und steckte mein Handy zurück in meine Jeanstasche. Würde ich rauchen, hätte ich nun mindestens eine Schachtel inhaliert. Aber das Zeug rührte ich ganz bestimmt nicht mehr an, seitdem unser angeblicher Vater vor zehn Jahren jämmerlich an Lungenkrebs krepiert war. Also blieb mir nur, das Kaugummipäckchen aus meiner Tasche zu ziehen und mir gleich zwei davon in den Mund zu stecken. Danach lehnte ich mich gegen den roten Müllcontainer und starrte leer über den Hinterhof. Selbst hier war es ordentlich. Nicht so wie in der Müllhalde, die sich Inglewood und mein Zuhause nannte. Eigentlich war ich froh, dass ich hier in Santa Barbara festhing. Es war tausendmal besser und vor allem sicherer, auch wenn alle Leute, die hier wohnten, tierische Snobs waren.

»Hey, Vince, deine Pause ist vorbei! Beweg deinen faulen Arsch wieder zu den Zapfsäulen, wir haben Kundschaft«, brüllte Hall. Ich atmete noch einmal tief durch und folgte seinem Ruf durch die Hintertür.

»Bin schon wieder da«, murmelte ich, als ich den Verkaufsraum durchquerte und Hall ein knappes Nicken zuwarf. Eigentlich war er als Chef ganz okay. Zumindest bezahlte er nicht schlecht und das war doch schließlich alles, was zählte.

Er trommelte mit seinen Fingern auf dem Tresen, hinter dem er stand. Das tat er immer und meistens machte mich seine Art unheimlich nervös. Hall hatte mir mehr als einmal erzählt, dass er mit Anfang zwanzig als Schlagzeuger in einer Band gespielt hatte. Hier in Los Angeles hatten sie ihr Glück finden wollen. Aber wie es bei neunzig Prozent der Leute war, die in dieser Stadt groß rauskommen wollten, hatten sie sich nach zwei Jahren eingestehen müssen, niemals erfolgreich zu werden. Hall gab nach Auflösen der Band seine Karriere auf, heiratete irgendeine hübsche Kellnerin aus Eastside und lebte nun seit über zwanzig Jahren hier. Seine Tankstelle würde ihm wohl keinen Ruhm bringen, aber wenigstens ein geregeltes, glückliches Leben. Ein Traum, fand ich. Und das meinte ich noch nicht mal ironisch.

»Junge, du musst lächeln, wenn du da raus gehst, das gibt mehr Trinkgeld!«, sagte er und schüttelte sein schulterlanges graues Haar hin und her. Dabei trommelte und grinste er wie ein Irrer. Ich blieb stehen und sah ihn einige Sekunden durch zu Schlitzen geformten Lidern sprachlos an.

»Wenn ich das da draußen mache, was du tust …« Ich deutete mit dem Zeigefinger auf seine Showeinlage. »Dann buchten sie mich eher ein.«

Hall reckte die Arme in die Luft und läutete mit schrägen Gesängen sein Finale ein. Ich schüttelte den Kopf und ging nach draußen. Ihm war sowieso nicht mehr zu helfen.

Die Hitze erwischte mich, als würde ich gegen eine harte Betonmauer laufen. Die Klimaanlage im Innern der Tankstelle war zwar nicht das neuste Gerät, aber bei vierzig Grad Außentemperatur trotzdem effektiv. Draußen zu arbeiten war bei diesem Wetter wirklich kein Klacks, wenn man allerdings hier Urlaub machte, w