Vorwort
Hans Fallada wurde 1893 als Rudolf Ditzen in Greifswald geboren.1 Man kann von großbürgerlichen Verhältnissen sprechen. Vater Wilhelm, selbst aus einer Juristenfamilie stammend, war Landgerichtsrat, schlug eine Professur für Strafrecht aus, wurde Kammergerichtsrat in Berlin, dann Reichsgerichtsrat in Leipzig. Der kleine Rudolf besuchte auf diesen Stationen beste Schulen, erlebte Demütigungen, musste wechseln, durchlief eine schwierige Pubertät, war kränklich, machte kein Abitur. Am Tiefpunkt verabredete er mit einem Freund einen Doppelselbstmord, ausgeführt als Duell. Den nur leicht Getroffenen erschoss er auf dessen Wunsch, richtete dann die Pistole auf die eigene Brust – und überlebte. Die Anklage wegen Totschlags endete mit einer Strafunmündigkeitserklärung und anschließender Einweisung in die Psychiatrie. Es sollte nicht die einzige bleiben. Falladas Leben entwickelte sich als eine Folge von Abstürzen. Alkohol, Nikotin (150 Zigaretten am Tag), Morphium, Kokain – anschließend die Berliner Charité oder die Privatklinik eines ehemaligen Schulkameraden.
Die Abstürze kamen nicht von ungefähr. Sie standen stets im Zusammenhang mit enormen Arbeitsleistungen, mit dem Leben als Schriftsteller. Als mit finanzieller Unterstützung der Familie der erste, noch rein expressionistische Roman entsteht, verlangt der Vater eine Veröffentlichung unter Pseudonym – wegen der freizügigen Darstellung von Erotik und Drogenkonsum. Da greift Rudolf auf sein Faible für Märchen zurück, entnimmt den neuen Vornamen »Hans im Glück«, den Nachnamen unter Hinzufügung eines zweiten l der »Gänsemagd« bzw. dem sprechenden Pferdekopf Falada, der die falsche Prinzessin entlarvt – »Hans Fallada« war geboren. Ein Entlarver im Glück oder einer, der nur glücklich sein kann, wenn er zeigt, wie das Leben wirklich ist?
Der junge Goedeschal, wie der Debütroman heißt, entsteht noch langsam, während des Ersten Weltkriegs, unterbrochen von gescheiterter Liebe, Depressionen, die wieder einmal zu einem Selbstmordversuch führen, ehe die Arbeit in der Landwirtschaft etwas Ruhe bringt. Verleger ist Ernst Rowohlt, der spätere Freund und Förderer. Die Auslieferung beginnt 1920, in mehr als schwierigen Zeiten, der Verkauf läuft mäßig. Auch ein zweiter Roman,Anton und Gerda (1923), wird kein wirklicher Erfolg. Über Wasser hält sich Fallada jetzt als Rendant auf einem Gut in Schlesien. Aber der Drogenabhängige braucht viel mehr Geld, als er verdient, unterschlägt hohe Summen, wird verurteilt, geht 1924 nach Greifswald ins Gefängnis, erhält danach wieder eine Stelle, nimmt abermals Geld aus der Kasse, muss dafür für fast zwei Jahre ins Gefängnis Neumünster. Fallada bekommt dort keine Schreiberlaubnis, prägt sich aber die Umstände seines Lebens im Arbeitsdienst genauestens ein, um es inWer einmal aus dem Blechnapf frißt literarisch zu verarbeiten. Auch sonst besteht die Stärke seiner Erzählkunst in der Wiedergabe von Selbsterlebtem, so zum Beispiel seiner Kokainabhängigkeit in der NovelleDie Kuh, der Schuh, dann du.
Dann die Wende. In Hamburg, wo Fallada in einem Hilfsverein für entlassene Gefangene aufgenommen wird, tritt er dem Guttemplerorden bei, einer international engagierten Organisation, die Suchtkranken Hilfe bietet. Dort hält er Vorträge, lernt vor allem die Frau fürs Leben kennen, Anna Issel, seine »Suse«. Die Lageristin in einer Großhandlung für Putzmacherbedarf übernimmt die Führung in diesem ungleichen Duett, auch in schwierigsten Zeiten mit ständig neuen Klinikaufenthalten. Suse und »ihr Junge« schreiben sich fast täglich Liebesbriefe – einer der eindringli