[5]1. Buch
Von Krieg singe ich und dem Helden, der als Erster von Troias Küste durch Schicksalsspruch, ein Flüchtling, nach Italien kam und zum Gestade Laviniums: Weithin wurde er über Länder und Meere getrieben durch der Götter Gewalt wegen des unversöhnlichen Zorns der grausamen Iuno und erlitt auch viel durch Krieg, bis er endlich seine Stadt gründen[5] und seine Götter nach Latium bringen konnte; daraus gingen hervor das Latinergeschlecht, die Väter von Alba und die Mauern des hochragenden Rom. Muse, berichte mir von den Beweggründen: Welches göttliche Wollen war verletzt, was schmerzte die Königin der Götter, dass sie den Helden, ein Vorbild an Ehrfurcht, dazu trieb, so viel Unglück zu bestehen, so viele Mühen auf sich zu nehmen.[10] Sind denn die Herzen der Himmlischen fähig zu solch gewaltigen Regungen des Zorns?
Es war einmal eine alte Stadt, von tyrischen Siedlern bewohnt, Karthago, Italien gegenüber und der Tibermündung in weiter Ferne, reich an Schätzen und überaus grimmig in ihrem Kriegseifer. Sie, so heißt es, habe Iuno allein vor allen Ländern geliebt,[15] sie sogar Samos vorgezogen; hier lagen ihre Waffen, hier stand ihr Wagen; dass von hier die Völker beherrscht würden, wenn das Fatum es irgend zuließe, war schon damals Sinnen und Trachten der Göttin. Doch sie hatte gehört, es entstehe ein Geschlecht aus troianischem Blut, dazu bestimmt, einst die tyrische Burg zu stürzen;[20] von dort werde ein Volk kommen, weithin herrschend und stolz im Krieg, Libyen zum Untergang: So sei das Gespinst der Parzen. Dies fürchtete die Tochter Saturns und gedachte des vergangenen Krieges, den sie allen[6]voran bei Troia für das ihr teure Argos geführt hatte, auch waren die Ursachen ihrer Erbitterung und die grausame Kränkung[25] noch nicht aus ihrem Herzen gewichen; tief in ihrem Gedächtnis haftete das Urteil des Paris, die beleidigende Verachtung ihrer Schönheit, das verhasste Geschlecht, der Raub und die Auszeichnung des Ganymedes; in ihrem Zorn darüber hielt sie die über das ganze Meer verschlagenen Troer, die von den Danaern und dem grausamen Achilles verschont geblieben,[30] fernab von Latium. Und viele Jahre lang irrten sie, vom Fatum getrieben, auf allen Meeren umher. So viel Mühe kostete es, das Römervolk zu begründen.
Kaum fuhren sie, Sizilien aus den Augen verlierend, frohgestimmt aufs Meer hinaus und durchpflügten den Gischt der Salzflut mit erzbeschlagenem Bug,[35] da sprach Iuno dies bei sich, die ewig offene Wunde tief im Herzen nährend: »Soll ich, geschlagen, von meinem Vorhaben ablassen und den König der Teucrer nicht von Italien fernhalten können? Freilich, die Fata verbieten’s mir. Konnte nicht Pallas die Flotte der Argiver durch Feuer vernichten und ihre Mannschaft im Meer versenken,[40] um so zu strafen Schuld und Rasen einzig des Aiax, Oileus’ Sohn? Sie selbst schleuderte den sengenden Feuerstrahl Iuppiters aus den Wolken, zerschmetterte die Schiffe und wühlte das Meer im Sturm auf, und ihn, der aus durchbohrter Brust Flammen spie, packte sie in einem Wirbel und spießte ihn auf eine spitze Klippe.[45] Doch ich, die ich als Königin der Götter einhergehe, als Iuppiters Schwester und Gattin, führe mit einem einzigen Volk so viele Jahre Krieg. Und ist da noch einer, der Iunos Gottheit anbetet oder hinfort demütig Opfergaben auf ihre Altäre legen wird?«
[7]Während sie solches in ihrem entflammten Herzen bewegt,[50] kommt die Göttin in die Heimat der Stürme, eine Gegend reich an tobenden Südwinden, nach Aeolien. Hier hält König Aeolus in einer riesigen Höhle die widerspenstigen Winde und tosenden Unwetter mit seiner Befehlsgewalt nieder und bändigt sie mit Ketten und Riegeln. Sie aber lassen empört unter lautem Brausen des Berges[55] die Wände ringsum erdröhnen. Hoch oben sitzt Aeolus auf der Festung, in der Hand das Zepter, besänftigt den Unmut und beschwichtigt den Zorn. Täte er es nicht, Meere, Länder und den hoh