Von Krähen und Menschen
Und schnell betritt er, angstbeflügelt,
Die Wäsche, welche frischgebügelt.
© Wilhelm Busch »Hans Huckebein«, 1867
Die Rabenkrähe Tommy
Mit Dohlen fing alles an
Mit meiner ersten Dohle ging alles gut und schief zugleich. Gut, weil sie, kaum richtig erwachsen und voll flugfähig, aus meiner Obhut davonflog und sich ihren Artgenossen am Kirchturm wieder anschloss. Hätte ich ihr wenigstens ein Stoffbändchen am Bein befestigt, das sie sich mit der Zeit selbst abgenommen hätte, wüsste ich, wie und ob überhaupt die Rückkehr in den Dohlenschwarm gelang. Denn damals, Mitte der 1950er-Jahre, gab es rund ums Dorf noch ausgedehnte Obstwiesen und Viehweiden. Darauf suchten die Dohlen, die im Kirchturm lebten, ihre Nahrung. Man verfolgte sie nicht. Deshalb waren sie auch nicht sonderlich scheu, sondern vorsichtig und wachsam, wie Dohlen so sind. Auch ohne Fernglas, ein solches bekam ich erst Jahre später, hätte ich die markierte Dohle erkennen können. Sie selbst schien manchmal zu zögern, ob sie zu mir fliegen sollte, wenn ich »Hansi« rief. Aber ihr »da, da« blieb aus. Nur der Kopf bewegte sich, so als ob sie den Zuruf genau hören wollte.
Mein Fehler, den ich zum Glück machte, war es, ein Dohlenjunges ausgewählt zu haben, das die Augen schon offen hatte. Richtig munter und unerschrocken, so meinte ich, schaute mich die Kleine an, als ich sie in der engen Turmspitze aus dem Nest holte. Mit dem merkwürdigen Ding, das da aus der Dunkelheit von unten her auf sie zukam, konnte sie vermutlich nichts anfangen. Dass sie danach unter dem Hemd erbärmlich schrie, ist mir noch in Erinnerung, weil ich deswegen, und nicht, weil es verboten war, auf den Turm zu steigen, ein schlechtes Gewissen hatte. Nachdem sie weg war, holte ich mir keine junge Dohle mehr.
Es dauerte bis in die Zeit kurz vor dem Abitur, bis ich wieder mit einer Dohle konfrontiert wurde. Ein Freund hatte sie bekommen und großgezogen. Bei einem heftigen Sommergewittersturm waren sie und weitere Jungdohlen irgendwie mitsamt den Nestern aus einem Kirchturm in einer nahen Stadt gefegt worden. Dass einige den Sturz aus über 70 Metern Höhe überhaupt überlebt hatten, war verwunderlich genug. Eine dieser Überlebenden erhielt der Freund. Sie hatte die Augen noch geschlossen. Jungdohlen sind leicht großzuziehen. Sie haben einfach fast immer Hunger. Nach kurzer Zeit lernen sie, den Schnabel weit aufzureißen und zu »sperren«, wie man sagt. Der rote Schlund signalisiert unmissverständlich, wo das Futter hin soll. Sie wachsen auch schnell heran. Der um fast zwei Jahrzehnte ältere Freund Carlo wusste aus reicher Erfahrung mit der Haltung von Vögeln auch genau, wie man es machte. Seine Dohle gedieh prächtig. Sie wurde, was sich rasch zeigte, als sie flügge war, menschengeprägt. Andere Dohlen interessierten sie nicht, außer um eine Runde mit ihnen zu fliegen, denn dieses natürliche Dohlenbedürfnis können Menschen als Partner natürlich nicht befriedigen. »Flori«, so hieß die Dohle, betrachtete sich selbst als der Menschenwelt zugehörig. Zumindest verband sie ihr normales Leben mit dem Betreuer gerade so, als ob dieser ein Artgenosse gewesen wäre. Stets hielt sie möglichst engen Kontakt mit ihm, akzeptierte aber auch die Umgebung, lernte die Menschen darin persönlich kenne