: Brigitte Liebelt
: Im Dienst der Hoffnung Friederike Fliedner - die Pionierin der Diakonie. Ein biografischer Roman.
: Gerth Medien
: 9783961225637
: 1
: CHF 12.60
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Es ist das Verdienst von Friederike und Theodor Fliedner, dass ledige Frauen vor gut 200 Jahren mit verheirateten Frauen gleichgestellt wurden, indem sie eine Berufsausbildung und ein regelmäßiges Gehalt für ihre Arbeit erhielten. Mit der Erfindung des Diakonissenamtes fanden sie eine stimmige Antwort auf die gesellschaftlichen Herausforderungen des beginnenden Industriezeitalters. Und mit ihrem Spagat zwischen der Sorge für ihre eigene Familie und ihrer Berufstätigkeit stand die 'Mutter aller Diakonissen' damals vor denselben Herausforderungen, wie viele moderne Frauen heute. Sorgfältig und unterhaltsam zeichnet Brigitte Liebelt das Leben und Wirken von Friederike Fliedner nach und ermöglicht es dadurch, tief in eine vergangene Zeit einzutauchen. Sie inspiriert dazu, den Herausforderungen von heute mit derselben Liebe und demselben Glauben zu begegnen, wie Friederike Fliedner damals - dem Glauben, der durch die Liebe tätig ist.

Brigitte Liebelt ist ausgebildete Diplom-Bibliothekarin und Krankenschwester. Seit 30 Jahren engagiert sich die sechsfache Mutter und Pastorenfrau ehrenamtlich in verschiedenen Arbeitszweigen ihrer Gemeinde und bei Frauenfrühstückstreffen. Sie lebt in Villingen-Schwenningen.

Wilhelm

~ JANUAR 1816

Auf ihn will ich vertrauen in meiner schweren Zeit;

es kann mich nicht gereuen, er wendet alles Leid.

Ihm sei es heimgestellt;

mein Leib, mein Seel, mein Leben

sei Gott, dem Herrn, ergeben;

er schaff’s, wie ihm gefällt!

(LUDWIG HEIMBOLD)

„Riekchen! Riekchen!“ Beim Klang der vertrauten Kinderstimme flog Friederikes Kopf herum.

Ihre Blicke glitten suchend über das Gedränge auf dem Marktplatz. Es war die Stimme ihrer kleinen Schwester Luise, ja, aber sie klang nicht wie sonst. Sie war atemlos, schrill und verängstigt.

Friederikes Freundin Veronika schnitt eine Grimasse. „Da kommt Luise, um dich zu holen. Armes Riekchen, nie Zeit für einen kleinen Schwatz!“ Veronika hatte recht. Aber was war passiert?

Inzwischen hatte Luise sich einen Weg durch die Marktbesucher gebahnt. Ihre braunen Haare hatten sich aus den Zöpfen gelöst und hingen ihr in das vom Laufen gerötete Gesicht. Friederike drehte sich ganz zu ihr herum und streckte ihr die Arme entgegen. Immer ging ihr das Herz auf, wenn sie die kleine Schwester sah, die zehn Jahre nach ihr geboren worden war. Aber Luise schüttelte atemlos den Kopf und zeigte nur in die Richtung, aus der sie gekommen war. „Wilhelm“, keuchte sie. „Du musst … komm schnell … er …“

Friederike warf Veronika noch einen kurzen Blick zu und verzog den Mund zu einem entschuldigenden Lächeln. „Tut mir leid, Vroni. Ich erzähl’s dir dann.“

Luise zerrte schon an ihrer Hand. Die beiden Schwestern liefen an den Ständen vorüber, an denen die Marktleute begannen, ihre restliche Ware zusammenzupacken, und schlugen den Weg nach Hause ein. Zum Glück war es nicht weit. Vom Marktplatz aus wandten sie sich rechts, vorbei an der Hochzeitslinde, deren kahle Zweige in den Himmel ragten, durch die Hinterthäler Pforte. Der zertretene Schnee machte das Kopfsteinpflaster rutschig, und sie hatten Mühe, vorwärtszukommen. Friederike wartete, bis Luises Atem ruhiger ging, dann drückte sie die verschwitzte Hand: „Was fehlt Wilhelm denn? Was ist passiert?“ „Ich weiß auch nicht. Aber ich glaube, er ist richtig krank jetzt. Er …“ Luises Lippen zitterten und die Tränen rollten ihr über die Wangen. „Mama hat gesagt: Schnell! Hol Friederike! Und ich hab dich gesucht und …“ Ihre Nase lief und sie wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Das schlechte Gewissen überfiel Friederike wie eine heiße Woge. Als Älteste von sieben Geschwistern waren Treffen mit Freundinnen in ihrem Alter für sie nur sehr selten möglich, und sie hatte sich so gefreut, Veronika auf dem Markt zu sehen – sie hatte einfach die Zeit vergessen.

Ihr Bruder Wilhelm hatte sich schon am Morgen beim Frühstück nicht wohlgefühlt. Er hatte nichts essen wollen, was höchst ungewöhnlich war, und nur müde am Tisch gesessen, den Kopf in die Hände gestützt. Er hatte nicht – wie sonst – Luise und den kleinen August geneckt oder mit dem Vater über die täglichen Arbeiten geredet. Aber dass in einer so großen Familie in diesen Zeiten – und zumal im Januar – alle wohlauf waren, war sowieso selten, und so hatte sie sich keine besonderen Gedanken gemacht, sondern sich darauf gefreut, auf den Markt gehen zu können und so einmal der nie abreißenden Arbeit zu entkommen.

Friederike wechselte den schweren Korb auf den anderen Arm und versuchte, die Sechsjährige zu trösten. „Du hast es genau richtig