1. KAPITEL
KINDHEIT UND JUGEND
1909 – 1929
Unter den sorgsam ausgebreiteten Fittichen meiner Mutter
Hilde Löwenstein an Erwin
Walter Palm, 29. 3. 1932
Der 27. Juli 1909 versprach kein Sommerwetter. Als sich der Kölner Rechtsanwalt Dr. Eugen Siegfried Löwenstein an jenem Dienstag früh morgens auf den Weg zur Redaktion derKölnischen Zeitung machte, waren die Ausläufer des Tiefs der vergangenen Nacht noch spürbar. In der Pfalz hatte das Unwetter die gesamte Ernte von »Getreide-, Tabak-, Wein- und Hackfrüchte[n] total zerschlagen«.1 Die Luft war mit fünfzehn Grad eher frisch, und auch der Rhein schob sich mit nur mäßiger Wassertemperatur träge an den kaum bevölkerten Rheinufern vorbei. Sein sonst südlich anmutendes, opalisierendes Blau war an diesem Tag unaufregend grau.
: Ereignisse, die eher Anlass zur Sorge gaben.
, wie man es in der Geburtsanzeige lesen würde, oder »morgens um 1.20 Min«4 ihren ersten Schrei hören ließ: Mutter Löwenstein hielt in ihrem Jugendstiltagebuch mit dunkelbraun-goldenem Ledereinband die frühe Morgenstunde als Geburtszeit fest.
Im Alter von siebzehn Jahren hatte sich Eugen zum Jurastudium entschlossen, während sein älterer Bruder Leo in Düsseldorf das Familienunternehmen weiterführen sollte. Emil, der jüngste Bruder, lebte mit Frau und den Kindern Franz und Edith in Berlin.
Die Hürden, um zu dieser Instanz zugelassen zu werden, waren für jüdische Anwälte nahezu unüberwindbar. Eugen Löwenstein war kein Kämpfer, er ließ sich lieber mit einer eigenen Kanzlei nieder. Zum Zeitpunkt seiner Heirat hatte er bereits eine gutgehende Praxis, »hauptsächlich in Wirtschafts- und Handelssachen.«7 Er genoss mit seinem aufrichtigen, zurückhaltenden Wesen h