: Egon Flaig
: Die Niederlage der politischen Vernunft Wie wir die Errungenschaften der Aufklärung verspielen
: zu Klampen Verlag
: 9783866746473
: 1
: CHF 19.00
:
: Politik
: German
: 416
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Dass menschenrechtliche Prinzipien universal sein sollen, ist ein Gebot der Vernunft, das uns die Aufklärung auferlegt hat. Indes, wie sind die Erfordernisse dieses Universalismus zu erfüllen in der jeweiligen konkreten Weltlage? Das vermag uns nur eine politische Vernunft zu sagen, welche sich - anders als Kants praktische Vernunft - in Zeithorizonten bewegt. Aber eben diese Vernunft verliert heute rasch Terrain an antiuniversalistische Theorien, die kulturelle Sonderrechte propagieren und verfälschte Vergangenheiten produzieren. Dabei gerät die gute Gesinnung zum Maßstab des Handelns und die Entrüstung zum Mittel geistiger Auseinandersetzung. Um zu ermessen, was hierbei auf dem Spiel steht, verlangt Egon Flaig geistesgeschichtliche Rückbesinnung. Er fragt zum einen, welche Diskurse eine antiuniversalistische Einstellung legitimiert und vorangetrieben haben; und er erörtert zum anderen, weshalb die politische Vernunft auf historische Verankerung angewiesen ist. Denn allein aus einem kulturellen Gedächtnis heraus, das sich der Aufklärung verpflichtet weiß, gewinnen wir die Orientierung für politisches Handeln im Geiste eines emanzipatorischen Universalismus.

Egon Flaig, geboren 1949, lehrte als Professor für Alte Geschichte an den Universitäten Greifswald und Rostock. Gastprofessuren führten ihn ans Collège de France, die Sorbonne und an die Universität Konstanz; er war Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin und am Historischen Kolleg München. 1996 wurde ihm der Hans-Reimer-Preis der Aby-Warburg- Stiftung verliehen. Zuletzt sind von ihm erschienen »Weltgeschichte der Sklaverei« (2009), »Die Mehrheitsentscheidung« (2013) und bei zu Klampen »Gegen den Strom. Für eine säkulare Republik Europa« (2013).

I.
Die politische Vernunft vor ihrem höchsten Zweck


Notre pensée n’est qu’une continuelle commémoration.

Alain

Was ist politische Vernunft?

Es geht um die politische Vernunft. Diese ist nicht die Kunst der Politik; und sie ist nicht eine spezifische Rationalität politischen Handelns. Sie ist eine Schwester der praktischen Vernunft kantianischen Stils. Bei Kant findet sich dieser Vernunfttyp nicht. Allerdings verficht er die »Idee einer Weltgeschichte, die gewissermaßen einen Leitfaden a priori hat.« Die Vernunft gebiete: exeundum e statu naturali – die Menschheit hat die Pflicht, aus dem Naturzustand herauszufinden und »das größte Problem für die Menschengattung« zu lösen, nämlich eine »vollkommen gerechte bürgerliche Verfassung« zu erreichen. Zuerst gelte es, sich in rechtlich geordneten Staaten zusammenzuschließen. Nicht von der Moralität der Bürger rühre »die gute Staatsverfassung, sondern vielmehr, umgekehrt, von der letzteren allererst die gute moralische Bildung eines Volkes«.Sogar ein Volk von Teufeln müßte im Rahmen allgemeiner Gesetze sich so verhalten, daß das allgemeine Wohl befördert würde. Ob der Königsberger Philosoph hierbei den Kitt, ohne den Republiken auseinanderfielen, allzu unbeachtet ließ, davon soll im achten Kapitel die Rede sein. Jedenfalls hält er dafür, daß auch die Einzelstaaten den Naturzustand, in dem sie sich befinden, überwinden müßten. Und auch auf diesem Wege bedient sich die Natur der Antagonismen, ja sogar der Kriege: »Alle Kriege sind demnach so viel Versuche (zwar nicht in der Absicht der Menschen, aber doch in der Absicht der Natur), neue Verhältnisse der Staaten zu Stande zu bringen (…) bis endlich einmal, teils durch die bestmögliche Anordnung der bürgerlichen Verfassung innerlich, teils durch eine gemeinschaftliche Verabredung und Gesetzgebung äußerlich, ein Zustand errichtet wird, der (…) so wie ein Automat sich selber erhalten kann.«1 Eine Naturabsicht treibe die menschliche Geschichte mittels Konkurrenz und Feindschaft asymptotisch ihrem Endzweck zu, einer republikanischen Weltföderation. Kant setzte in diese geschichtsphilosophisch wichtige Hohlstelle kein menschliches Vermögen ein; ihm genügt die blinde Logik der unsichtbaren Hand, die sich durchsetzt hinter dem Rücken der Akteure und ohne deren Bewußtsein. Hegel hat daraus die List der Vernunft gemacht. Aber läßt sich an dieser Stelle nicht ein menschliches Vermögen auffinden?

Globalisierung ist nicht denkbar ohne Universalismus; allerdings ist der aufklärerische Universalismus nicht der einzige. Der Prozeß der Globalisierung folgt überwiegend einem ›Trend‹; er hat also eine Richtung, folglich einen Sinn, wie schwach und undeutlich dieser sich auch ausnehme. Dieser Trend kommt teilweise als blindes Resultat zustande, teilweise haben ihn Akteure in schwersten politischen Kämpfen intentional vorangetrieben. Die Sklaverei wurde abgeschafft nur durch allergrößte politische und militärische Anstrengung, entgegen jeglicher ökonomischen Logik und trotz heftigstem und andauerndem Widerstand. Wenn man die vielfältigen Gebiete der Universalisierung betrachtet, dann ist der Fortschritt rasant geworden. Aber er ist nicht stufenmäßig garantiert. Was Kant annahm, nämlich daß man hinter erreichte Stufen der Aufklärung nicht zurückfallen könne, ist zweifelhaft geworden. Angebracht ist eine skeptische Version der Aufklärung, nämlich die Einsicht, daß die Menschheit zum Zustand weltbürgerlicher Vereinigung fortschreiten muß, wenn sie überleben will. Denn die demographische Explosion, der klimatische Umbruch, der gleitende ökologische Kollaps, die ökonomische Privatisierung von gigantischen Ressourcen, die epidemische Virulenz des Terro