: Hannes Giessler Furlan
: Verein freier Menschen? Idee und Realität kommunistischer Ökonomie
: zu Klampen Verlag
: 9783866747081
: 1
: CHF 21.20
:
: 20. und 21. Jahrhundert
: German
: 346
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ihrer Idee nach sollte die kommunistische Gesellschaft viel gerechter als die kapitalistische sein und überdies nach Marx ein »Verein freier Menschen«. Doch im Namen des Kommunismus verwirklicht hat sich im 20. Jahrhundert vor allem eine totalitäre Gesellschaft. Die Ursachen des Misslingens sucht Hannes Giessler Furlan dort, wo der Kommunismus ansetzte: in der Ökonomie. Mit Sympathie für die Beweggründe, aber ohne falschen Respekt zeigt der Autor, wie die kommunistische Idee eines vernünftig eingerichteten Produktionsprozesses in der Realität einen gewaltigen Staats- und Planungsapparat bedingte, wie sie scheiterte, und was von ihr übriggeblieben ist.

Hannes Giessler Furlan, Jahrgang 1979, hat Geschichte und Philosophie studiert. Er arbeitete als Referent in der Jugend- und Erwachsenenbildung und promovierte an der Leipziger Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie. Er lehrte an einer brasilianischen Universität und arbeitet als Lehrer in Köln. Das Buch »Verein freier Menschen?« ist eine gekürzte Fassung seiner Promotion.

Einleitung


Marx bezeichnet die kommunistische Gesellschaft auch als Verein freier Menschen. Das heißt: Einerseits werden sich die Menschenvereinen, andererseits werden sie in dieser Vereinigungfrei sein. Dieses Vorhaben ist nicht einfach; seine Schwierigkeiten lassen sich illustrieren am Symphonieorchester, einem Beispiel für Kooperation, das auch Marx herangezogen hat.1 Die Musiker gewinnen durch die Vereinigung die gemeinsame Fähigkeit, eine Symphonie erklingen zu lassen, die kein einzelner Musiker erklingen lassen könnte, und profitieren auch individuell, indem sie innerhalb der Vereinigung einander zuhören, erhört werden, neue Fähigkeiten erlernen und an etwas Großem teilhaben, das sie alleine nie zuwege bringen könnten. Zugleich aber muss sich jeder Einzelne der Vereinigung fügen, indem er ihren Ansprüchen gerecht zu werden versucht, sich selber zurücknimmt und für sich sowie mit allen anderen Musikern gemeinsam übt. Der Dirigent steht dabei vor der schwierigen Aufgabe, die Einzelnen mit dem Orchester als Ganzem zu vermitteln. Er muss einerseits seinem Orchester zuhören, dessen Impulse aufnehmen und die Musiker als Künstler würdigen, statt sie sich mit seinem Taktstock zu unterwerfen. Da aber der Zusammen- und Wohlklang nicht die automatische Folge der Zusammenkunft der verschiedensten Musiker ist, muss der Dirigent die Musiker andererseits zur Verbesserung ihrer Fähigkeiten bewegen, zur Selbstzurücknahme anhalten und durch seinen Taktstock führen. Offenbar hat der Dirigent im Orchester ein ähnliches Werk zu vollbringen wie laut Platon der Philosophenkönig im Gemeinwesen, der darin »Wohlsein« hervorbringen soll, indem er »die Bürger ineinanderfügt und sie teils überredet, teils nötigt, einander mitzuteilen von dem Nutzen, den jeder dem allgemeinen Wesen leisten kann« (Platon,Politeia 519e–520a). Platon zufolge ist es durchaus ein Gebot der Vernunft, die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Einzelnen zu erkennen und zu berücksichtigen. Dieses Gebot harmoniere aber nicht immer mit dem gleichsam vernünftigen Gebot des Allgemeinwohls (Letzteres steht in PlatonsPoliteia im Zweifel höher). Einzelinteressen können dem Allgemeinwohl widersprechen und umgekehrt. Und die Freiheit des Einzelnen kann durch die Ansprüche des Gemeinwesens gefährdet sein. Dem Namen nach verkündet sich der »Verein freier Menschen« als Ausweg aus diesem Dilemma.

Dabei setzt der Kommunismus im Sinne von Marx vor allem auf eine andere ökonomische Ordnung. Die kommunistische Revolution soll die Kapitalisten enteignen und die Produktionsmittel vergesellschaften bzw. sozialisieren. Auf Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums wird es keine Klassen mehr geben. Produktion und Distribution werden sich nicht mehr blind über Geld und Markt vermitteln, sondern vernünftig und gerecht gestaltet. Der Fortschritt der Industrie wird das Elend der Produzenten nicht mehr verschärfen, sondern die Arbeit erleichtern und den Reichtum aller mehren. Alle Individuen könnten sich freier entfalten, gemäß ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen. Was Marx in Aussicht stellte, wurde im Realsozialismus allerdings nicht erreicht. Die meisten sozialistischen Bürger sehnten sich nach mehr Freiheit. Dass der Kommunismus in der Praxis scheiterte und alles andere als Freiheit brachte, resultier