Zwei Wochen habe ich im Bootshaus von Chris’ Familie im südafrikanischen Lockdown verbracht, bevor mich ein Flug von Johannesburg zurück nach München und das Auto meiner Freundin schließlich bis zu meiner Wohnung in Hamburg bringt. Chris – das ist der Mann, in den ich mich in diesem Moment vielleicht verlieben könnte, den ich nicht date, den ich aber auch nichtnicht date. Und den ich nicht vergessen kann, auch wenn ich ihn auf unbestimmte Zeit nicht wiedersehen werde.
Ich erlebe die gesamte Rückreise – den Abschied, die vielen Unterschriften auf noch mehr Formularen, die Kontrollen, die Listen mit meinem Namen darauf, den Check-in, die Menschen, das Umladen des Gepäcks, das Warten, die Ungewissheit, noch mehr Papiere, noch mehr Stempel, die Unterbrechungen, schließlich die Landung – wie in Zeitlupe, wie eine Aneinanderreihung von Abschnitten, durch die ich beinahe automatisch geschoben werde. Der stille Flughafen fühlt sich surreal und befremdlich an, wie eine abgekapselte Zwischenstation, in der es gerade weder ein Datum noch einen Tagesablauf gibt. Als mich die Bundespolizei in die Ankunftshalle entlässt und ich auf einem menschenleeren Parkplatz auf Sabine warte, mit der ich mir für sieben Stunden die Strecke bis nach Hamburg teilen werde, fällt es mir schwer zu begreifen, dass ich zurück in Deutschland bin.
Noch nicht einmal als die Tür meiner Wohnung hinter mir ins Schloss fällt, komme ich wirklich an. Ich lasse den Koffer im Flur stehen, ziehe meine Schuhe aus und löse den Knoten, zu dem ich meine Haare vor mehr als 18 Stunden gebunden habe. Ich beziehe mein Bett neu, schalte meinen Geyser wieder an, dusche und lege mich mit nassen Haaren auf die Kissen, die sich in der Abendsonne, die durch meine Balkontür scheint, aufgewärmt haben. Es ist kurz nach sieben Uhr abends und noch hell, und obwohl es zwischen Südafrika und Deutschland gerade keine Zeitverschiebung gibt, fühle ich mich, als würde ich festgehalten von dem Gefühl, das wir Jetlag nennen. Außerhalb von Zeit und Raum, ziellos, erschöpft, aber nicht müde, abgenabelt von der Welt, bis wir nach ein paar Nächten wieder synchron mit ihr schienen.
Und auf einmal kommt mir ein Gedanke: Was, wenn dieser Jetlag der eigentliche Lockdown war?
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»To feel inner stability, hold on to your routines and if that is not possible – find new ones.« Diesen Rat hat der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa seinenfellow South Africans in einer seiner wöchentlichen Ansprachen mit auf den Weg gegeben. Aber auf einer Farm, auf der wir uns frei bewegen durften, auf dem Sonnendeck, auf dem wir die Tage einfach verstreichen lassen und uns von allem, das sich um uns herum ständig änderte, aber wir nicht ändern konnten, abkapseln konnten, hatten wir keine Routine gebraucht. Chris und ich lernten uns gerade erst kennen, und ein Tag, den wir bei einem Herbstgewitter im Bett verbrachten, war genauso schön wie einer, an dem ich las und mich in Erinnerungen und Worte vertiefte, während er am Tisch neben mir zeichnete. Ohne Strom, ohne Lärm, ohne ständige Verbindung nach außen war es uns leichtgefallen, den weltweiten Lockdown, all seine Informationen und seine Nervosität auszublenden. Für mich fühlte sich die Welt nicht auf einmal viel zu klein auf diesen 52 Quadratmetern an – sondern genau richtig.
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