Kapitel 1
Die prunkvolle Kolonne vergoldeter Kutschen, festlich mit Federbüschen und farbenfrohen Satteldecken herausgeputzter Pferdegespanne und berittener Offiziere in der prächtigen blaugoldenen Uniform von Versailles wand sich langsam durch die hohen goldenen Tore, um schließlich in der Mitte des weitläufigen Platzes vor dem Palast zum Halten zu kommen.
»Sieh dir nur diese beiden Kutschen an!« rief ein blondes Mädchen, das sich gefährlich weit aus einem der oberen Fenster hinausbeugte, seiner neben ihm lehnenden Gefährtin zu. »Beide sind dafür bestimmt, mich nach Frankreich zu bringen. Welche würdest du vorziehen, Cordelia? Die weinrote oder die blaue?«
»Ich wüßte wirklich nicht, welchen Unterschied das machen sollte«, erwiderte Lady Cordelia Brandenburg. »Was für ein lächerliches Theater! Der Marquis de Durfort reitet mit Pomp und Trara in die Stadt ein, als ob er den ganzen weiten Weg von Frankreich hergekommen wäre, obwohl er in Wirklichkeit erst vor einer knappen Stunde aus Wien aufgebrochen ist.«
»Aber so schreibt es das Protokoll nun einmal vor«, erklärte Erzherzogin Maria Antonia, von ihren engsten Vertrauten auch Marie-Antoinette genannt, in entrüstet tadelndem Tonfall. »Es gehört sich ganz einfach so. Der französische Botschafter muß in Wien Einzug halten, als ob er gerade aus Versailles angereist wäre. Er muß bei meiner Mutter im Auftrag des Dauphins von Frankreich formell um meine Hand anhalten. Und dann werde ich mit dem Thronfolger ferngetraut, bevor ich nach Frankreich gehe.«
»Man könnte beinahe glauben, du wärst dem Dauphin nicht schon seit drei Jahren fest versprochen«, bemerkte Cordelia. »Stell dir nur mal vor, was für einen Aufruhr es erzeugen würde, wenn die Kaiserin das Ersuchen des Botschafters plötzlich ablehnte!« Sie kicherte ausgelassen, aber ihre Freundin verstand beim besten Willen nicht, was an der Vorstellung so amüsant sein sollte.
»Sei nicht albern, Cordelia. Wenn ich Königin von Frankreich bin, werde ich dir nicht mehr erlauben, derart impertinent zu sein.« Maria Antonia rümpfte ihre zierliche Stupsnase.
»In Anbetracht der Tatsache, daß dein Bräutigam erst sechzehn ist, wirst du dich wohl noch eine Weile gedulden müssen, bis du Königin wirst«, gab Cordelia seelenruhig zurück, nicht im geringsten berührt von der Rüge ihrer fürstlichen Freundin.
»Pfui, Cordelia! Du bist eine richtige Spaßverderberin! Wenn ich Dauphine bin, werde ich die beliebteste und bedeutendste Dame in ganz Versailles sein.« Toinette drehte sich in einem Wirbel von purpurroter Seide, als ihr weiter Reifrock um sie herumschwang. Mit einer übermütigen Geste begann sie im Raum umherzutanzen, wobei ihre in zierlichen Schuhen steckenden Füße perfekt die Schrittfolge eines Menuetts vollführten.
Cordelia warf einen flüchtigen Blick über ihre Schulter zurück und wandte sich dann wieder der weitaus interessanteren Szene zu, die sich in dem Hof unterhalb des Fensters abspielte. Toinette war eine begabte Tänzerin und nutzte jede sich bietende Gelegenheit, um mit ihrem Talent anzugeben.
»Also, ich wüßte zu gerne, wer das wohl ist«, sagte Cordelia laut, ihre Stimme mit einem Mal aufgeregt vor Interesse.
»Wer? Wo?« Neugierig eilte Toinette zum Fenster zurück und schob Cordelia ein Stück zur Seite, um sich neben ihr über die Brüstung zu beugen. Ihr blonder Kopf bildete einen starken Kontrast zu den rabenschwarzen Locken ihrer Freundin.
»Dort unten. Er sitzt gerade von dem weißen Hengst ab. Ein Lipizzaner, glaube ich.«
»Ja, es muß ein Lipizzaner sein. Man braucht sich ja nur die wundervollen Linien anzusehen.« Beide Mädchen waren passionierte Reiterinnen, und einen Moment lang fesselte das Pferd ihre ganze Aufmerksamkeit.
Der Mann streifte seine Reithandschuhe ab und sah sich im Hof um. Er war hochgewachsen und schlank und trug dunkle Reitkleidung und einen kurzen, mit scharlachrotem Stoff gefütterten Umhang um die Schultern. Plötzlich hob er den Kopf und blickte an der ockerfarbenen Fassade des Palasts hinauf, als ob er sich der beiden Beobachterinnen bewußt wäre. Er trat einen Schritt zurück, beschattete seine Augen mit der Hand und blickte erneut zu dem Fenster hoch.
»Komm, laß uns wieder hineingehen«, drängte die Erzherzogin. »Er hat uns gesehen.«
»Na und?« erwiderte Lady Cordelia gelassen. »Wir schauen doch nur. Findest du nicht auch, daß er attraktiv ist?«
»Ich weiß nicht«, meinte Toinette mit einer Spur von Gereiztheit. »Nun komm endlich vom Fenster weg. Es zeugt von schockierend schlechten Umgangsformen, jemanden so anzustarren. Was würde Mama wohl dazu sagen?«
Es fiel Cordelia nicht sonderlich schwer, sich vorzustellen, was Kaiserin Maria Theresia sagen würde, wenn sie ihre Tochter und deren Freundin dabei ertappte, wie sie den Reiter angafften, als ob sie in der Oper säßen und mit einem der Darsteller liebäugelten. Dennoch hielt sie irgend etwas am Fenster fest, selbst als Toinette ungeduldig an ihrem Arm zog.
Der Mann schaute immer noch zu ihr hinauf. Aus einem übermütigen Impuls heraus winkte Cordelia lächelnd und warf ihm eine Kußhand zu. Einen Moment lang sah der Fremde gründlich verdutzt drein, dann lachte er und hob seine Finger an die Lippen.
»Cordelia!« Die Erzherzogin war zutiefst empört. »Ich bleibe keine Sekunde länger hier, wenn du dich weiterhin so skandalös benimmst. Du weißt ja noch nicht einmal, wer er ist.«
»Ach, wahrscheinlich irgendein königlich