Dr. Daniel Norden war nicht abergläubisch, aber diesen Freitag, den Dreizehnten, würde er nicht so schnell vergessen.
Um fünf Uhr morgens hatte das Telefon ihn aus dem Schlaf gerissen. Eine aufgeregte Männerstimme redete auf ihn ein: »Herr Doktor, schnell, meine Frau, sie verblutet, o mein Gott, und das Kind …«
»Ihr Name«, sagte Dr. Norden, »so sagen Sie doch Ihren Namen, Mann.«
»Fichte, Lohenstraße sieben, ich war schon bei Ihnen.«
»Ich komme«, sagte Daniel Norden, und bevor seine Frau noch richtig begriffen hatte, war er schon in seinem Anzug und an der Tür.
»Fichte, Lohenstraße sieben«, rief er ihr zu. »Verständige die Klinik, Fee, für alle Fälle.«
Felicitas Norden war sofort hellwach. Bei einem Notfall konnte Daniel keine langen Erklärungen abgeben. Während sie sein Auto wegfahren hörte, rief sie schon die Behnisch-Klinik an.
Fichte, dachte Dr. Norden indessen. Lohenstraße. Ja, das war der Neubau, der vor vier Wochen bezogen worden war. Beim Einzug war einem jungen Mann die Hand gequetscht worden. Joachim Fichte hieß er. Jetzt konnte Dr. Norden sich erinnern.
Cellist war er, und eine gequetschte Hand konnte für ihn den Verlust der Existenz bedeuten. Nun, sie hatten die Hand wieder schön in Ordnung gebracht. Es war nicht so schlimm gewesen, wie es ausgesehen hatte. Was an diesem Morgen geschehen war, schien bedeutend schlimmer zu sein.
Dr. Norden war schnell am Ziel. Er läutete Sturm, stürzte in den Lift, dann durch eine offenstehende Tür, sah eine junge Frau im Bett in einer Blutlache liegen und darin ein noch nicht abgenabeltes Kind.
Die Frage zu stellen, warum Joachim Fichte nicht sofort die Ambulanz angerufen hatte, war müßig. Der Mann zitterte am ganzen Körper. Er war eines vernünftigen Gedankens wohl gar nicht fähig gewesen.
»Es ging alles so schnell«, stotterte er nur hilflos.
Zu schnell, zu unerwartet war die Geburt gekommen, aber das Kind lebte. Es gab klägliche Laute von sich. Dr. Norden nabelte es ab.
»Ein Handtuch«, sagte er im Befehlston. »Nerven behalten, Mann.« Er hüllte das Kind ein und legte es dem Mann in die Arme. »Halten Sie den Kopf nach unten. Tut mir leid, aber Sie müssen helfen.«
Jetzt ging es um das Leben der jungen Mutter, und Daniel konnte nur hoffen, dass Fee richtig begriffen und alles veranlasst hatte.
Er hörte schon eine Sirene und atmete auf. Auf Fee war Verlass. Im Unterbewusstsein empfand er Stolz. Seine Frau, ja, hundertprozentig konnte man auf sie bauen.
Bis die Sanitäter mit der Tragbahre kamen, hatte er der jungen Frau eine Injektion verabreicht. Ihr Puls ging schwach, aber solange ein Herz schlug, durfte, musste man hoffen. Dies hatte sich Dr. Norden zum Leitwort gemacht.
Die junge Frau wurde vorsichtig auf die Trage gelegt, das Baby daneben. Dr. Norden deckte beide warm zu.
»Sie können mit mir fahren, Herr Fichte«, sagte er, und es gelang ihm sogar, seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu verleihen.
Der Chefarzt Dr. Leitner war eine Minute früher dagewesen. Auch auf ihn war Verlass. Dr. Norden war schon lange mit ihm befreundet, wie auch mit Dr. Behnisch, dem auch diese Gynäkologische Klinik gehörte. Er kam ebenfalls, weil Fee ihm ja nicht genau hatte erklären können, worum es ging, nur eben, dass es ein äußerster Notfall sei.
Auch jetzt war keine Zeit für lange Erklärungen, das sahen die anderen beiden Ärzte auch.
Herr Fichte musste sich selbst überlassen bleiben.
Dr. Leitner und Dr. Behnisch verschwanden mit der jungen Frau im Operationssaal, Dr. Norden nahm sich unter der Assistenz von Schwester Hildegard des Babys an.
Selbst Schwester Hilde, in Ehren ergraut und jenseits von Gut und Böse, konnte sich der Ausstrahlung nicht entziehen, die von Dr. Norden ausging. Seine Ruhe, seine Sicherheit teilte sich ihr mit. Es faszinierte sie, seine schlanken Hände zu beobachten, die das Kind drehten und wendeten, nachdem sie es schnell gewaschen hatte.
»Ein strammer Bursche«, sagte er. »Er ist gut davongekommen. Hat es ein bißchen zu eilig gehabt.«
»Ja, manchmal sind die Mütter auch recht sorglos«, sagte Schwester Hildegard.
»Ich weiß nicht, wie es zu dieser Sturzgeburt kam«, stellte er ruhig fest. »Hoffen wir, dass ihm seine Mutter erhalten bleibt.«
Das Baby schlief längst in einem weißen Bettchen, als seine Mutter aus dem Operationssaal gefahren wurde. Joachim Fichte hatte kein Ohr dafür gehabt, dass sein Sohn gesund und kräftig genug war, um die dramatische Geburt zu überstehen. Er zitterte noch immer, obgleich ihm Schwester Hildegard Beruhigungstropfen gebracht hatte.
Dr. Norden konnte ihm sagen, dass seine Frau nicht mehr in akuter Lebensgefahr schwebte.
Joachim Fichtes Erregung löste sich in Tränen, die ihm unaufhaltsam über die Wangen rannen. Dr. Norden ließ ihm Zeit, sich zu beruhigen. Er hatte volles Verständnis für ihn. Er selbst war auch ein werdender Vater. Er war durchaus nicht so ruhig, wie er sich gab, wenn er an Fee und ihr Baby dachte, und heute war er wieder einmal in eine Situation geraten, die ihn zutiefst beunruhigte.
Er war Arzt mit Leib und Seele und auch dazu berufen. Er fragte sich in solchen dramatischen Augenblicken, wie solche Gefahren verhindert werden, wie man das Leben von Mutter und Kind besser schützen könnte.
Er war kein Frauenarzt, aber wie sein Vater schon, hatte auch er sich mit jedem Gebiet der Medizin beschäftigt.
Wenn man ein richtiger Arzt sein wolle, hatte sein Vater g