Prolog
Letzte Nacht hatte es wieder geschneit. Bei jedem Schritt sank Anders bis zu den Knöcheln ein. Die Hände tief in den Taschen seines Mantels vergraben, spazierte er in der einsetzenden Dunkelheit durch das winterliche Dorf.
Kerstin hatte diesen Anblick geliebt. Die schneebedeckten Häuser mit den qualmenden Kaminen. Die weihnachtlich geschmückten Fenster, hinter denen Licht brannte. Damals waren sie eine der glücklichen Familien gewesen, die sich voller Vorfreude auf das Weihnachtsfest vorbereiteten.
Jetzt war er nur noch ein distanzierter Beobachter, der sich an Abenden wie heute in vergangene Zeiten zurückträumte. Er wandte den Blick von den erleuchteten Fenstern ab und entdeckte Greta. Wieso war sie um diese Zeit noch draußen?
Seine Tochter stapfte durch den Schnee, sichtlich erfüllt von einer wichtigen Mission, und war so in Gedanken versunken, dass sie ihn nicht bemerkte.
»Greta!«
Sie blieb stehen, und ihr Kopf flog zu ihm herum. Ihr rundes Gesicht unter der bunten Lappenmütze wirkte verfroren. Auch sie hatte ihre Hände tief in den Taschen vergraben.
Anders ging zu ihr. »Wo willst du um diese Zeit noch hin?«
»Es ist doch noch ganz früh«, erwiderte Greta ausweichend. Obwohl sie erst zehn Jahre alt war, verstand sie sich meisterhaft darauf, Antworten zu geben, die sich nicht wirklich auf die gestellte Frage bezogen.
»Ich habe dich nicht nach der Zeit gefragt«, erwiderte er streng.
Greta schob trotzig die Unterlippe vor. »Ich muss was erledigen.«
»Und was?«
»Es ist dir doch sonst auch egal, was wir machen.« Sie schaute ihn finster an.
Anders fühlte sich hilflos, und gleichzeitig hatte er heftige Gewissensbisse. Er starrte seine Tochter an, sie starrte zurück, und dann drehte sie sich einfach um und ging weiter.
Anders wusste immer noch nicht, was er tun sollte. Kurz bevor Greta aus seinem Blickfeld verschwand, gab er sich einen Ruck und folgte ihr bis zur Post. Er sah gerade noch, dass sie einen Umschlag in den Briefkasten warf.
Mit wenigen Schritten war er wieder bei ihr.
»Wem hast du geschrieben?«
Greta baute sich vor ihm auf und stemmte die behandschuhten Hände in die Taille. »Papa«, sagte sie streng. »Das soll eine Überraschung sein.«
»Für mich?« Anders tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Brust.
Greta nickte eifrig. »Ich hab dem Weihnachtsmann geschrieben und mir etwas für dich gewünscht.« Sie lachte verschmitzt. »Ich sag dir aber nicht, was es ist.«
»Da bin ich ja mal gespannt!«
Gerührt streckte Anders seine Hand nach der Hand seiner Tochter aus. Gemeinsam gingen sie durch das winterliche Dorf zurück nach Hause.
Lieber Weihnachtsmann,
bald ist wieder Weihnachten, und ich habe dieses Jahr nur einen Wunsch.
Ich würde dich ja viel lieber anrufen oder dir eine E-Mail schicken, aber meine Freundin Lotta sagt, du hättest kein Handy und keinen Computer, weil der Empfang bei dir so schlecht ist. Deshalb muss ich dir eben einen Brief schreiben.
Ich hätte überhaupt nicht gewusst, wie ich dich erreichen soll, aber Lotta hat in einer Zeitung deine Adresse gefunden. Sie hat mir das Dagbladet geschickt, damit ich dir schreiben kann. Ich hoffe, ich mache nicht zu viele Fehler, ich bin ja erst zehn Jahre alt.
Lotta ist meine beste Freundin, früher haben wir uns jeden Tag gesehen. Seit meine Mama tot ist und wir bei meinem Opa wohnen, geht das aber nicht mehr.
Lieber Weihnachtsmann, ich hab ganz doll geweint, als meine Mama gestorben ist. Und als ich mit Lotta telefoniert habe, schon wieder. Und sie hat auch geweint, weil sie mich vermisst und jetzt keine beste Freundin mehr hat.
Wie gesagt, ich habe dieses Jahr nur einen ganz großen Wunsch. Kein Spielzeug, auch keine Süßigkeiten, sondern eine Frau für meinen Papa. Sie muss nicht schön sein. Oder vielleicht ein bisschen, damit Papa sich in sie verliebt. Aber sie