PROLOG
Ein Irrgarten aus Eisschollen säumte die Küste, weiße Inseln im tiefblauen Meer. Es plätscherte leise, als Natuk das Doppelpaddel ein ums andere Mal in das eiskalte Wasser senkte und dasqajaq mit kurzen, kräftigen Stößen vorantrieb.
Es war noch das Boot, das seine Mutter einst für ihn gebaut hatte – auf die alte Weise, mit einem Rahmen aus Treibholz und einem Gerüst aus Knochen und Sehnen, das von Robbenhaut überzogen war. Nicht, wie sie sie heute herstellten, aus imprägnierter Leinwand oder gar aus Fiberglas …
Deralte Weg.
Von Kindesbeinen an hatte Natuk gelernt, darin zu sitzen und das Gleichgewicht zu halten. Zunächst in einem Grundriss aus Steinen, den man für ihn auf dem Boden ausgelegt hatte, später dann in einem kleinen Übungsboot. Die Balance zu halten, selbst dann, wenn etwas Unvorhergesehenes geschah oder das Wasser rau wurde, war einst lebenswichtig gewesen, hatte den Unterschied zwischen einem lebenden Jäger und einem toten bedeutet. Und das nicht nur, weil ein Mann, der den Umgang mit dem Kajak nicht beherrschte, darin allzu leicht ertrinken konnte. Sondern auch weil derjenige, der bei der Robbenjagd nicht erfolgreich gewesen war, ohne Beute nach Hause zurückgekehrt und langsam und elend verhungert war.
Natuk musste an seinen Cousin Iggiaq denken, der nach Süden gegangen war, nach Nanortalik, und dort Fahrten für Touristen organisierte. Natuk verstand nicht, was all diese Menschen aus fernen Ländern hier oben im Norden wollten. Sie waren keine Inuit, wussten nicht, wie man ein Kajak lenkte oder eine Harpune warf, und doch wollten sie es unbedingt versuchen. Iggiaq hatte erzählt, dass sie dann laut lachten und Spaß dabei hatten … Offenbar, dachte Natuk, gab es dort, wo diese Menschen herkamen, wenig Freude. Deshalb reisten sie an ferne Orte, um dort zu finden, was sie zu Hause nicht hatten … und doch hatten sie nichts verstanden.
Natuk war achtunddreißig Jahre alt.
Er war seinen Eltern dankbar dafür, dass sie ihn noch auf die alte Weise erzogen hatten, auch wenn die Zeichen der Veränderung damals bereits deutlich zu erkennen gewesen waren. Sie hatten ihm beigebracht, in Wolken und Wellen zu lesen und den Schnee und das Eis zu riechen. Sein Vater war Jäger gewesen, so wie Natuks Großvater und dessen Vater vor ihm; viele Generationen lang, soweit die Erinnerung reichte. Auch Natuk wäre gerne Jäger geworden wie seine Ahnen, hätte seinen Lebensunterhalt lieber mit der Jagd nach Robben bestritten als damit, im Hafen von Illokarfiq Motorboote zu warten. Doch die Zeiten waren andere, die Welt veränderte sich.
Alles veränderte sich.
Selbst das Eis.
Noch in den Tagen von Natuks Kindheit waren die Fjorde nördlich von Illokarfiq während des Winters von einer dicken Eisschicht bedeckt gewesen, in die man tiefe Löcher hatte schlagen müssen, wenn man jagen wollte. Jetzt war das Eis viel dünner, bisweilen sogar so dünn, dass man es nicht mehr begehen konnte. Es zwang die Jäger dazu, aufs Wasser auszuweichen – oder im Supermarkt von Illokarfiq einzukaufen. Tiefgefrorenes Fleisch aus anderen Ländern, während hier das Eis zurückging, mit jedem Jahr ein wenig mehr.
Flach wie ein Blatt lag das Kajak auf dem Wasser, dessen dunkelblaue Farbe zwischen den Schollen von eisiger Tiefe kündete, während es heller und türkisf