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20.Oktober 2018
Frank war froh, dass er nicht nackt war. Eigentlich lief er gerne entblößt durch seine Wohnung. Er fühlte sich dann mit seinem Körper im Einklang und sexy. Doch eine Vorahnung hatte ihn davon abgehalten.
Als er gerade dabei war, seinen Kaktus zu gießen, sah er einen Mann unten im Hof stehen, der zu seinem Fenster hinauf starrte. Ihn anstarrte. Die Haltung des Mannes war angespannt, als wollte er zum Sprung ansetzen. Es war zwar erst Vorabend, aber schon dunkel. Doch Frank schien deutlich die toten Augen zu sehen, mit denen der bärtige Mann zu ihm aufsah. Sie waren tot und auch wieder nicht. Denn in dem leeren Blick lag zugleich eine bedrohliche Intensität. Frank konnte die abstruse Mischung nicht genau beschreiben, aber sie war unheimlich. Doch Frank beruhigte sich schnell wieder. Er wohnte schließlich im zweiten Stock. Der Mann konnte sich unmöglich zu ihm hinaufhangeln. So sportlich sah der Typ nicht aus. Sicher war das nur ein neidischer Penner, der mich irgendwann ausrauben will, dachte er und zeigte dem Mann den Mittelfinger. Dieser antwortete mit einer anderen Geste. Langsam fuhr er mit dem Zeigefinger über seine Kehle. Frank wurde wütend. Er stürmte in die Küche und bewaffnete sich mit einer Blätterteigpastete. Er riss das Fenster auf und warf sie auf den Mann.
»Hier hast du etwas zum Essen. Mit Liebe gemacht, du Penner!«
Er verfehlte ihn jedoch und der Mann starrte ihn weiter ungerührt an.
»Was glotzt du so? Du musst dich nicht bedanken! Guten Hunger!«
Der Mann wandte sich ab und ging. Doch Frank reichte das nicht.
»Geh arbeiten, du Arschloch!«, brüllte er ihm noch nach. Er überlegte, dem Mann noch etwas nachzurufen. Doch dann beschloss er, sich selbst an die Pasteten heranzuwagen.
Er brach sich ein Stück ab und erschauderte. Sie waren mittlerweile warm und glitschig und Frank hatte immer weniger Motivation, sich eine von ihnen einzuverleiben. Er schob es noch auf und versuchte fluchend, das sperrige Fenster wieder zu schließen. Nach einigen akrobatischen Einlagen und Flüchen brachte er es schließlich hinter sich.
Er stärkte sich mit einem Bissen von der Pastete und schmeckte gleich, dass sie von vorgestern war. Frank kaute langsam und lustlos. Auf der Jubiläumsfeier waren die Dinger noch ganz köstlich gewesen. Deswegen hatte er in einem günstigen Augenblick die Gunst der Stunde genutzt, um ein paar der Pasteten heimlich mit einer Serviette einzupacken. Jedoch hatte er vergessen, sie in den Kühlschrank zu stellen. Das schmeckte er nun deutlich heraus. Zusätzlich stellte er sich vor, wie die Pasteten von den Gästen mit ihren schmierigen Fingern betatscht worden waren. Kein appetitanregender Gedanke für Frank.
Er dachte an Bärbel, die Sekretärin von Herrn Kunz und ihr großes Bläschen an der Lippe. Wer weiß, was die alles mit ihren Wurstfingern auf die Pasteten geschmiert hat, fragte sich Frank und spielte mit dem Gedanken die Dinger in den Müll zu kloppen.
Eine war ja schon aus dem Fenster geflogen. Aber das war ja schließlich für einen guten Zweck gewesen.
Doch dann kam dieses stechende Gefühl in seiner Brust. Er wusste nicht warum. Schließlich warf doch jeder mal Essen weg. Aber dann sah er Lisas enttäuschten Gesichtsausdruck. Meine Verlobte hat mich wohl zu sehr erzogen, stellte er verbittert fest.
Na ja, dann musste er die Teile halt seiner Nachbarin andrehen. Pia. Sie würde ihn ja bald besuchen kommen. Darauf freute sich Frank schon. Nicht nur aufgrund der Tatsache, dass er durch sie die Pasteten endlich loswerden konnte. Sie wurde nur langsam etwas zu anhänglich. Auf der einen Seite genoss er es, auf der anderen Seite war er ja immer noch verlobt. Noch. Wer weiß, wie lange das Drama noch gut gehen konnte? Er wusste es jedenfalls nicht. Vielleicht sollte er doch noch eine Pastete essen? Lisa zuliebe.
Er biss zaghaft ein weiteres Stück ab. Es schmeckte nach Bärbel. Er hatte zwar keine Ahnung, wie die