: Claudia Romes
: Beethovens Geliebte Sie lebt für die Künste, doch in der Liebe findet sie keine Freiheit
: Aufbau Verlag
: 9783841230324
: Außergewöhnliche Frauen zwischen Aufbruch und Liebe
: 1
: CHF 9.90
:
: Romanhafte Biographien
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
p>Klänge einer neuen Zeit.

Bonn, 1790: Im Zehrgarten am Marktplatz dreht sich alles um die Kunst - und mittendrin: die neunzehnjährige Tochter der Wirtin, die in ihren Salons die wichtigsten Männer der Stadt um sich versammelt. Wenn es nach ihrer Mutter ginge, würde Babette Koch am besten einen Fürsten heiraten, aber seitdem der junge Ludwig van Beethoven aus Wien zurück ist, fühlt sich Babette immer mehr zu ihrem Kindheitsfreund hingezogen. Doch ein schlechter Ruf eilt dem Musiker voraus, so gilt er nicht nur als talentiert, sondern auch als äußerst flatterhaft ...

Die Geschichte einer jungen Freidenkerin, die sich auf ihrer Suche nach Selbstbestimmung und Liebe nicht entmutigen lässt.



Claudia Romes wurde 1984 als Kind eines belgischen Malers in Bonn geboren. Mit neun Jahren begann sie, ihre eigenen Geschichten zu erzählen und fasste den Entschluss, eines Tages Schriftstellerin zu werden. Nach einigen beruflichen Umwegen widmete sie sich ganz dem Schreiben und lebt heute ihren Traum. Die Autorin wohnt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in der Vulkaneifel. Im Aufbau Taschenbuch ist bereits ihr Roman »Das Geheimnis der Hyazinthen« erschienen.

Kapitel 1

Bonn, Juli 1787 bis Ende 1789


Es war ein verregneter Sommer. Über der Stadt hatte sich eine graue Wolkendecke aufgespannt, die seit Tagen nicht aufbrechen wollte – als spiegelte sie die Trauer um Maria Magdalena wider, die der Schwindsucht erlegen war.

»Stärke«, bläute Anna ihrer Tochter ein, nachdem sie in der Wenzelgasse 476 angekommen waren. Nervös knetete Babette ihre Finger. Für sie waren Beileidsbekundungen ein Graus. Dabei mangelte es ihr nicht an Mitgefühl, sondern an den richtigen Worten, um ihm Ausdruck zu verleihen. Vielleicht, so dachte sie, waren Worte in einer solchen Situation nicht genug. In dem Moment vernahm sie ein melancholisches Klavierspiel und richtete ihren Blick zum Fenster des oberen Stockwerks hinauf, von wo es herzukommen schien.

»Er wird doch nicht etwa …«, murrte ihre Mutter, deren Blick ebenfalls die Fassade des Hauses hinaufgeklettert war. Dreimal klopfte sie fest an die Tür der Beethovens.

»Bestimmt spielt Ludwig für seine Geschwister. Um sie aufzuheitern. Das könnte doch sein, Maman?«

Ihre Mutter hatte die Hände in ihre ausladenden Hüften gestemmt und sah sie ungläubig an. »Wenn Johann den armen Jungen jetzt zwingt zu üben, dann kann er was erleben.«

Babette fuhr ein Schauder über den Rücken. Noch immer hatte sie vor Augen, wie Johann Ludwig gescholten hatte, nur weil er eine Note nicht lang genug gespielt hatte. Da war sie elf und Ludwig zwölf Jahre alt gewesen. Die Gewalt, zu der sein Vater fähig war, machte ihr auch jetzt noch Angst. Körperliche Züchtigungen kannte sie von ihren Eltern nicht.

»Dieser Mann«, zischte ihre Mutter durch zusammengebissene Zähne und pochte erneut gegen die Tür. Babette senkte den Blick. Am liebsten wäre sie zu Hause geblieben, aber ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass sie mitkam. Es wäre an der Zeit, etwas zurückzugeben, hatte sie gemeint. Anna Maria Koch hatte eine ausgeprägte soziale Ader. Daneben war sie eine der wenigen, die sich trauten, Johann van Beethoven offen die Meinung zu sagen. Ihre Familien waren seit Jahren eng befreundet, was ihr das Recht gab, sich in Angelegenheiten der Beethovens einzumischen – jedenfalls wenn es nach ihr ging. Bedauerlicherweise prallten die gut gemeinten Ratschläge bei Johann ab wie ein Ball an einer Mauer, seit er zu trinken angefangen hatte. Anna befürchtete, dass sich seine Trunksucht nun, nach dem Tod seiner geschätzten Gattin, weiter verschlimmern würde.

»Schön, nicht?«, sagte Babette verträumt.

Als wäre es Teil der Melodie, fügte sich das Geräusch des zunehmenden Regens, der prasselnd auf den Pflastersteinen aufkam, in das Lied, und Babette führte ihre Gedanken über die unzureichende Wirkung von Worten fort. Musik, dachte sie, und ein wohliges Gefühl breitete sich in ihr aus, während sie dem spontanen Zusammenspiel von Piano und Natur lauschte. Musik konnte tröstender sein als tausend Worte.

Vor einigen Jahren hatte Ludwig etwas ganz Ähnliches zu ihr gesagt. Nun, da seine liebe Mutter gestorben war, musste sie immerzu daran denken. Erst jetzt hatte sie verstanden, was er gemeint hatte.

Das Klavierspiel wurde jäh von lautem Kindergeschrei unterbrochen. In Anna rief es den Mutterinstinkt auf den Plan. Sie war eine Löwin, die ihre Familie erbittert verteidigte und bis aufs Blut kämpfte. Nachdem die Kinder ihrer Freundin zu Halbwaisen geworden waren, fühlte sie sich verantwortlich.

»Johann!« Sie hämmerte jetzt energischer als zuvor gegen die Tür, doch niemand machte auf. Es regnete heftiger, und die beiden Frauen drängten sich näher ans Haus heran.

»Wir sollten ein andermal wiederkommen«, schlug Babette leise vor. »Offenbar ist ihnen nicht nach Besuch.« Sie hielt den Korb, in dem sich ein Früchtekuchen, frisches Brot, Käse, Schinken und Milch befanden, fest in Händen. Auf Wein hatten sie absichtlich verzichtet. Den hatte Johann sicher zur Genüge. Das Geschrei von Ludwigs einjähriger Schwester durchdrang den tosenden Niederschlag und das Rattern vorbeifahrender Fuhrwerke. Es klang herzzerreißend.

»Armes Gretchen«, murmelte Babette und tauschte einen besorgten Blick mit ihrer Mutter. Die kleine Maria Margaretha war zierlich und verletzlich. Sie erinnerte Anna an deren früh verstorbene Schwester, die ihr Patenkind gewesen war. Beharrlich pochten ihre Fäuste gegen die Tür, als ginge es um Leben und Tod.

»Johann?«, rief sie so laut, dass die vorbeigehenden Passanten stehen blieben. »Hier ist Anna.«

Nach einer Weile hörten sie Schritte, dann öffnete jemand. Endlich!

»Louis!«, begrüßte Babette ihren Freund erleichtert.

Scheu blickte er erst sie, dann ihre Mutter an. »Verzeiht, dass wir euch warten ließen.« Sein für gewöhnlich dunkler Teint war einer unnatürlichen Blässe gewichen, was die Pockennarben in seinem Gesicht deutlicher hervorhob. Das gelockte dunkelblonde Haar wirkte ungekämmt. Die dunklen Ringe unter seinen Augen zeugten von schlaflosen Nächten.

»Wir machen uns Sorgen um euch.« Anna kam gleich auf den Punkt. Ludwig stand mit steifem Körper da, als wüsste er nicht, was er sagen sollte. Unentschlossen sah er zwischen den Frauen hin und her. Ob er wohl merkte, wie unangenehm Babette der Besuch war? Sie rang sich ein mattes Lächeln ab, doch seine Miene blieb starr.

»Wir wollten wissen, ob wir euch in irgendeiner Weise unterstützen können?«, fuhr ihre Mutter fort. »Es tut uns so unendlich leid. Deine liebe Mama war eine gute Frau. Sie wird sehr fehlen.«

Fahrig strich er sich das Haar zurück, senkte seinen Blick und nickte beklommen. »Bitte«, sagte er höflich, aber widerstrebend und bedeutete ihnen einzutreten. Anna und Babette folgten ihm die schmale Treppe hinauf, von dessen Ende ihnen Gretchens lautes Weinen entgegendrang.

»Ich fürchte, es ist etwas unordentlich«, mahnte Ludwig, kaum gegen das Geschrei ankommend.

»Mach dir deswegen keine Gedanken.« Anna berührte ihn tröstend am Arm, sobald sie den oberen Treppenabsatz erreicht hatten, und betrat noch vor ihm das Wohnzimmer. Die Luft war stickig. Es roch nach überreifem Obst, Schweiß und Exkrementen.

»Kann ich euch etwas anbieten?«, fragte Ludwig. Anna winkte ab, sie hielt sich ein Taschentuch vor die Nase und riss ein Fenster auf. Babette stand wie angewurzelt in der Tür und klammerte sich an ihren Korb. Neben ihr klaubte Ludwig Kleidungsstücke und Papier vom Boden. Es war das reinste Chaos.

»Johann?« Anna rüttelte unsanft an dessen Schulter, und er ließ ein Stöhnen hören. Den Kopf auf seine Hände gestützt, saß er mit geschlossenen Augen am Tisch. Vor ihm stapelte sich schmutziges Geschirr. Sicher war die Magd der Familie der schwierigen Situation nicht gewachsen.

»Seit wann ist er schon so?«, fragte Anna Ludwigs jüngeren Bruder Kaspar. Hilflos zuckte dieser die Schultern, während er seine Schwester, deren Wangen rot leuchteten, im Arm schaukelte.

»Schon den ganzen Tag«, antwortete Ludwig höhnisch.

»Holt Wasser!« Anna nahm Kaspar das immer noch schreiende Kind ab. »Wir müssen ihn nüchtern kriegen.«

Ludwig brachte Karaffe und Becher aus dem Nebenzimmer. Sein elfjähriger Bruder Nikolaus half ihm, dem betrunkenen Vater Wasser einzuflößen.

»Sie vermisst Mutter«, verriet Kaspar, der sich nicht von seiner Schwester lösen wollte und deshalb dicht bei ihr blieb. Die Verzweiflung war ihm anzusehen, sie ließ Babette schlucken. Angesichts dieser Tragik konnte sie sich kaum rühren. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie fürchtete, jemand könne es hören. Sie fühlte sich fehl am Platz. Warum hatte ihre Mutter sie mitgenommen? Sie war ihr keine Hilfe.

»Schhhh, ist ja gut«, machte Anna. Gretchens Weinen ging von einem Wimmern in ein Schluchzen über. Müde kuschelte sie das Gesicht gegen Annas üppige Brust. Ihre Brüder standen hilflos daneben. Jeder für sich hatte auf seine Weise mit dem Verlust der ...