: Heinrich Thies
: Alma und der Gesang der Wolken Roman
: Aufbau Verlag
: 9783841230294
: 1
: CHF 9.30
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: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Das Leuchten über der Heide.

1943: In den Wirren des Krieges wächst die Bäuerin Hanna über sich hinaus. Als ihr Bruder Franz eingezogen wird, führt sie den Hof allein weiter - unterstützt von dem französischen Kriegsgefangenen Robert. Trotz aller Widerstände verlieben sich die beiden ineinander. Alma wird schwanger und damit im Dorf noch mehr zur Außenseiterin. Als der Krieg vorbei ist, kehrt Robert nach Frankreich zurück. Alma führt ihren Hof auch allein durch die Nachkriegszeit - bis ihr Bruder heimkehrt und sie wieder in den Hintergrund drängt. Doch damit will sie sich nicht mehr abfinden ... 

Die berührende Geschichte einer unangepassten Frau und ihrer verbotenen Liebe - basierend auf der Familiengeschichte des Autors.



Heinrich Thies, geboren 1953 als Bauernsohn in Hademstorf in der Lüneburger Heide, studierte Germanistik, Politik, Philosophie und Journalistik, war von 1989 bis 2015 Redakteur bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und trat als Autor von Biographien, Romanen, Sach- und Kinderbüchern hervor. 1991 wurde er mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Im Aufbau Taschenbuch liegt ebenfalls sein Buch 'Die verlorene Schwester - Elfriede und Erich Maria Remarque. Die Doppelbiographie' vor.

2. Kapitel


Es war warm geworden, richtig heiß. Nur wenige weiße Wolken schwebten vor dem blauen Himmel. Das Thermometer zeigte neunundzwanzig Grad. Dabei war es erst Mitte Mai. Ein Sonnabend. Alma wischte sich den Schweiß von der Stirn, griff in ihren Drahtkorb, um eine weitere Kartoffel einzusetzen. Die schnurgerade Furche, die Alexei gerade mit der Norwegerstute Wilma und dem einscharigen Hunspflug gezogen hatte, schien endlos. Vom ständigen Bücken schmerzte ihr der Rücken, ihre Kehle war wie ausgedörrt, trotzdem war sie zufrieden, fast sogar glücklich. Die Arbeit ging voran. Zwei Felder waren schon mit Kartoffeln bepflanzt; wenn sie mit diesem Acker fertig war, würden alle Kartoffeln in der Erde sein. Es war das erste Mal, dass sie diese schwierige Feldarbeit ohne ihren Bruder bewältigen musste. Aber immerhin hatte Franz ihr in mehreren Briefen von seiner Ausbildungskompanie in Celle geschrieben, was sie zu tun hatte. Zuerst musste der Boden gedüngt werden. Mist hatte er zum Glück noch selbst gestreut, aber auch etwas Kunstdünger musste noch auf den kargen Sandboden. Das hatten die beiden Kriegsgefangenen für sie übernommen, Alex und Robert. Sie hatten die Felder auch noch mal geeggt, wie Franz es verlangt hatte.

Ohne die beiden wäre all das nicht zu schaffen gewesen. Auch Hans, der fünfzehn Jahre als Knecht auf dem Hof gearbeitet hatte, war ja schon eingezogen worden; die älteren Brüder waren gefallen, die andern im Krieg, und Almas Schwester Ida, die früher mitgeholfen hatte, war verheiratet und lebte jetzt mit ihren beiden Töchtern in Stöckse, einem knapp zwanzig Kilometer entfernten Dorf. Ja, der Russe und der Franzose waren für Alma unverzichtbar. Von morgens bis abends standen ihr die beiden zur Seite. Allein hätte sie es nie geschafft, die Ställe auszumisten oder die schweren Kartoffelsäcke aus dem Keller zu schleppen und auf den Ackerwagen zu wuchten. Besonders das Pflügen und Eggen wäre ihr schwergefallen.

Alexei schien es sogar Spaß zu machen, mit den Pferden zu arbeiten. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht, wenn er die Ackergäule striegelte, ihnen auf den Hals klopfte oder Zaumzeug anlegte. Der Russe war neben der Schweineküche in dem früheren Knechtszimmer untergebracht und fütterte auch die Schweine. Der stämmige Bauernsohn kam aus einem Dorf an der Wolga und hatte in einem Kolchosbetrieb gearbeitet. Robert dagegen war eigentlich eher ein Kopfmensch und hatte zwei linke Hände, wie er selbst sagte. Ein Lehrer aus der Bretagne, der mit Ackerbau und Viehzucht vor dem Krieg nicht das Geringste zu tun gehabt hatte. Aber der jungenhafte Franzose ersetzte seine fehlende Erfahrung durch Fleiß und Einfallsreichtum – und er lachte viel und heiterte auch die anderen durch seine Scherze auf. Verteilt auf mehrere Bauernhöfe arbeiteten insgesamt sechzehn französische Kriegsgefangene in Hademstorf in der Landwirtschaft. Abends hatte sich Robert im »Herzog von Celle« einzufinden, der besseren der beiden Hademstorfer Gaststätten. Im Saal war für die französischen Kriegsgefangenen ein Nachtlager eingerichtet worden, das von einemSS-Mann überwacht wurde. Strenggenommen musste Robert spätestens um zweiundzwanzig Uhr dort sein, aber an diesen langen Arbeitstagen im Mai und Juni nahm niemand Anstoß daran, wenn es später wurde. Alma war selig, wenn Robert nach Feierabend noch zur Mundharmonika griff und seine schönen Lieder spielte. Die Mundharmonika gehörte eigentlich Franz, aber die nahm ja keinen Schaden dadurch, dass jemand anders auf ihr blies, außerdem war es seine alte, die er selbst kaum mehr benutzt hatte.

Jetzt schritt Robert wie Alma eine Furche mit einem Drahtkorb ab, um Kartoffeln einzusetzen. Das war zwar eigentlich Frauenarbeit, aber dem Franzosen war das egal. Wegen der Hitze war er nur mit einem Unterhemd bekleidet, so dass Alma sehen konnte, wie sich die Muskeln seiner Oberarme spannten, wenn er von dem Ackerwagen einen weiteren Kartoffelsack hob, um für Nachschub zu sorgen. Wenn er sie mit seinen braunen Augen ansah, ging es ihr durch und durch. Ihr gefiel sein Deutsch mit französischem Zungenschlag, es hörte sich an, als würde er singen. Dass er überhaupt Deutsch sprach, war ja schon was Besonderes.

»Du bist sehr schön. Jolie femme«, hatte er neulich mal gesagt, als er hereingekommen war, während sie im Unterrock vor dem großen Waschbecken in der Küche gestanden und sich eingeseift hatte. Sie hatte ihm mit dem Zeigefinger gedroht, dabei aber gelacht.

»Du bist hier nicht in Frankreich. Und ich weiß, dass ich keine schöne Madame bin. Treib also keine Scherze mit einer Bauersfrau.«

»Kein Scherz«, hatte er geantwortet. »Und du bist auch nicht nur irgendeine Bauersfrau. Du bist schön, Alma. Wie eine kleine Madonna. Und du kannst noch schöner sein, wenn du andere Kleider ausführst.«

»Kleider ausführst! Wie du immer redest. Kleider anziehst, heißt das.«

Eigentlich hätte sie gar nicht so mit dem Franzosen sprechen dürfen. Offiziell war jeder Privatkontakt mit den Kriegsgefangenen untersagt. Wenn es intim wurde, drohten sogar Gefängnisstrafen. Aber wenn man den ganzen Tag miteinander arbeitete, blieb es ja wohl nicht aus, dass man auch mal ein persönliches Wort wechselte, und zu Robert, wie sie den Franzosen in deutscher Aussprache nannte, fühlte sie sich hingezogen, auch wenn ihr klar war, dass sie sein Gerede nicht allzu ernst nehmen durfte. Trotzdem betrachtete sie sich neuerdings öfter im Spiegel und überlegte manchmal schon, ob sie anstelle ihres Dutts nicht lieber Dauerwelle tragen sollte wie die eleganten Frauen im Dorf.

Schminken musste sie sich nicht. Ihr Gesicht war von der Sonne bronzefarben gebräunt, anders als ihre rotgesichtigen Schwestern musste sie keinen Sonnenbrand fürchten. Ihr dunkler Teint, ihre Gesichtszüge, das schwarze Haar verliehen ihr ein fast südländisches Aussehen, so dass sich manch einer im Dorf schon hinter ihrem Rücken gefragt hatte, ob sie wirklich die Tochter von Heidebauern war. Aber im Alltag spielte das keine Rolle. Sie wurde als Einheimische akzeptiert und genoss jetzt sogar die Stellung einer Bäuerin. Natürlich, sie hätte mehr aus sich machen können. Aber wozu? Sie hatte keine Zeit, zum Schützenfest zu gehen. Tanzen war was für andere. Sie schaffte es nicht mal sonntags zum Kirchgang, obwohl sie durchaus religiös war und hin und wieder auch betete. Ihre christliche Moral ließ sich in einem Satz von Wilhelm Busch zusammenfassen, ihrem Lieblingsdichter: »Das Gute – dieser Satz steht fest – ist stets das Böse, das man lässt.«

Nein, auf die Kirche konnte sie gut verzichten. Ihr Gottesdienst spielte sich in der freien Natur ab. Was gab es Erhabeneres als den Himmel? Das Schauspiel eines heraufziehenden Gewitters. Das Feuerwerk der aufgehenden Sonne. Die Abenddämmerung in ihren zarten Pastelltönen.

Sie musste nicht in Ausstellungen, Theater oder Konzerte gehen, und sie hatte auch gar keine Zeit dazu. Um Himmels willen, nein! Die Arbeit fraß ihre Tage, und gerade jetzt im Mai waren sie besonders lang. Wenn sie kurz vor Sonnenuntergang vom Kartoffelpflanzen nach Hause kam, musste sie noch die Kühe melken, die morgens auf die Weide getrieben, abends aber wieder in den Stall geholt wurden. Meist von Robert, der oft die kleine Marie zum Kühetreiben mitnahm.

Jetzt baute Mariechen am Waldrand Häuser aus bunten Steinen, die sie auf dem Feld gesammelt hatte. Sie langweilte sich. Ihre größte Freude war es, wenn Alex oder Robert sie Huckepack nahmen oder – besser noch – aufs Pferd setzten. Im nächsten Jahr würde sie zur Schule kommen. Wenn der Krieg das zuließ. Es machte ihr Angst, wenn die Sirenen heulten und alle sich im Keller verkriechen mussten. Alma hatte ihr erzählt, dass die Flieger, die dann über das Dorf donnerten, manchmal auch Bomben abschmissen und Häuser kaputt machten und sogar unvorsichtige Menschen trafen. Zum Glück war Hademstorf bisher verschont geblieben.

Hier gaben die Bauern seit jeher den Takt an, der Rhythmus von Aussaat und Ernte beherrschte auch den Rhythmus des Dorflebens mit seinen Arbeits- und...