| Prolog: Plötzlich ist der Motor aus
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Wie mich die Stille mitten im Lärm aufschreckte … und warum das mein Weltbild völlig auf den Kopf stellte
Ganghwa, Südkorea, 9. September 2007: Im Kloster
Ich werde von einem dumpfen Klopfen wach. Es hört sich an, als ob jemand langsam einen Nagel einschlüge. Es ist dunkel und mein Rücken schmerzt von der harten Matratze. Ich taste nach meiner Uhr, 3:30 Uhr. Wo bin ich? Gedankenfetzen tauchen auf, »Busfahrt, Mönche, Kloster … Kloster! Ich bin in einem Kloster.« Statt Glocke gibt es hier Holzbrett und Hammer als Wecksignal, es ist Zeit für das Morgenritual. Zum Ankleiden bleiben nur ein paar Minuten. Der graue Meditationsanzug ist hart und kratzt, die schwarzen Stoffschuhe drücken. Vor meiner Zelle auf dem Flur treffe ich Jules, einen groß gewachsenen Belgier. »Sind wir zu spät?«, fragt er etwas ängstlich. »Ich hoffe nicht«, sage ich, während wir hektisch aus dem Schlaftrakt in das Dunkel draußen vor der Tür stürmen und uns eilig auf den Weg zum Tempel auf dem kleinen Hügel machen. Er liegt im Zentrum der Klosteranlage. Es regnet leicht.
Wir sind Gäste in einem Kloster und haben uns erst gestern kennengelernt. Ich bin als Unternehmensberater nach Südkorea gekommen. Zusammen mit meinem Team unterstütze ich einen großen Maschinenbau-Kunden bei der Restrukturierung seiner koreanischen Tochtergesellschaft. Es gibt viele Probleme: veraltete Produkte, schlechter Service, zu niedrige Preise, zu geringe Produktivität der Fabrik und damit hohe Verluste. Selbst über eine Teilverlagerung der Produktion nach China wird diskutiert. Aus Beratersicht geht es um das gesamte Programm. Der Kunde hat sich mit einer Übernahme verhoben. Da kurzfristig eine bilanzielle Überprüfung ansteht, arbeiten wird unter hohem Zeitdruck. Wir haben zwölf Wochen Zeit, ein tragfähiges Restrukturierungskonzept vorzulegen. Ich habe mich zu diesem Abenteuer von einem Kollegen überreden lassen. Es ist das erste Mal, dass ich in Korea bin.
Die Wochenenden habe ich bisher in Seoul verbracht. Meine Familie ist zu Hause in Deutschland. Nur einmal bin ich bisher zurückgeflogen. Ansonsten habe ich im Hotel gearbeitet oder die Stadt erkundet. Ich war häufig in Insadong, einem Künstler- und Antiquitätenviertel. Hier gibt es Pinselmacher, Schilderschnitzer, Galerien und zahlreiche kleine Restaurants. Die Straßen sind mit Menschen gefüllt, es ist bunt und riecht fremdartig. Jemand hat mir erzählt, dass es Ginseng-Duft ist. Ich habe mit meinem Handy kleine Filme gedreht und an meine Kinder geschickt. Ich vermisse meine Familie.
Im Fitnessraum des Hotels auf dem Laufband habe ich einen Film über Zen-Meditation gesehen. Hier in Korea gibt es die Möglichkeit, für ein Wochenende mit den Mönchen zu leben, ein sogenannter Templestay. Teilnehmer erhalten die Möglichkeit, an den Tagesabläufen und Ritualen teilzunehmen, die buddhistische Kultur kennenzulernen, in den schönsten Klöstern Koreas zu übernachten und vor allem zu entspannen, zu reflektieren und wieder Energie zu tanken. Ich habe mich für ein Wochenende angemeldet.
Gestern bin ich im Kloster angekommen. Die Anreise war ein Abenteuer. Ich spreche kein Koreanisch, der Busfahrer sprach kein Englisch. Ich habe versucht, mit Händen und Füßen zu kommunizieren, vergeblich. Eine Gruppe kichernder Jugendlicher hat mir schließlich geholfen. Einer von ihnen sprach ein bisschen Englisch und konnte dolmetschen. Anschließend wurde ich neugierig befragt, wo ich herkomme und warum ich in ein Kloster fahre. Als ich schließlich in einem kleinen Dorf in der Nähe des Klosters ausgestiegen bin, haben sie etwas mitleidig hinter mir hergeschaut. Als ob ich Schloss Dracula besuchen wollte.
Das Kloster liegt in einer herrlichen Hügellandschaft, umgeben von Laubwäldern mit hohen Bäumen. Am Eingang kam mir schon ein Mönch entgegengelaufen, mit einem breiten Lachen im Gesicht. E