Kapitel 1
Der Grund der Taijin-See schmeckte nach Salz, Schlick und Enttäuschung. Bis auf ein paar mysteriöse schwache Lichtstrahlen war es dort unten dunkler als im tiefsten Schlund. Das konnte wohl kaum das großartige Wasserreich sein, in dem die Drachen beheimatet sein sollten.
Als Seryu langsamer wurde und seine langen Tasthaare besonders in die Richtung eines der Lichtstrahlen zuckten, setzte ich mich auf seinem Rücken aufrecht hin. Vielleicht hatte ich mir das eingebildet, aber dieser eine Strahl leuchtete heller als die anderen – fast violett.
»Bist du bereit?«, fragte Seryu, der den Kopf zu mir gedreht hatte.
Bereit zu was?, dachte ich, nickte jedoch.
Mit einem schnellen Schlag seines Schwanzes tauchte er durch den violetten Strahl – und alles veränderte sich. Das Wasser wurde azurblau und aus Sandbänken stiegen kupferrote Dunstschwaden auf. Und Licht! Überall war Licht, welches eine unsichtbare Sonne verströmte.
Die wachsende Spannung ließ mein Herz rasen. Ich klammerte mich an Seryus Hörner, während er in derart schnellem Tempo abwärtsschwamm, dass ich beinahe den Mund geöffnet hätte.
Wir sind fast da, Kiki, dachte ich in unserer stummen Sprache, doch sie antwortete nicht. Ein Blick in meinen Ärmel erklärte es: Mein magischer Papiervogel war ohnmächtig geworden.
Ich konnte es Kiki nicht verübeln. Wir bewegten uns mit unglaublicher Geschwindigkeit, und wenn ich versuchte, geradeaus zu schauen, bekam ich hämmernde Kopfschmerzen. Aber ich durfte auf gar keinen Fall ohnmächtig werden. Ich wagte es nicht einmal, die Augen zu schließen.
Ich wollte alles mitbekommen.
Schließlich erreichten wir, klaftertief unter dem Meer der Sterblichen, ein Labyrinth aus leuchtenden Korallenriffs. Seegras wiegte sich in einer unsichtbaren Strömung, weiße Sanddünen und von Goldadern durchzogenes Gestein sprenkelten den Boden, und Baldachine aus ineinander verflochtenen Meeresblumen bildeten die Dächer von Unterwasserhäusern.
Das also war Ai’long, die Heimat der Drachen.
Es war eine Welt, die nur wenige Sterbliche je zu Gesicht bekommen würden. Auf den ersten Blick wirkte sie gar nicht so anders wie das, was ich an Land kannte. Anstelle von Bäumen gab es hier Korallensäulen, manche dünn, manche dick, von denen die meisten spiralförmige, mit Bändern aus Moos geschmückte Äste hatten. Sogar die Fische erinnerten mich an durch die Luft gleitende Vögel, wenn sie ihre spitz zulaufenden Flossen wie Flügel ausbreiteten und durchs Wasser glitten.
Und doch … war das hier anders als alles, was ich je gesehen hatte. Die Bewegung des ständig hin und her wogenden Wassers, das durch Farbblitze und das Gestöber von Fischen offenbar wurde. Die Art, wie das Seegras die vorbeiflitzenden Fische kitzelte, als könnten sie miteinander sprechen.
Seryu grinste, als ich das alles in mich aufnahm. »Ich habe ja gesagt, du wirst überwältigt sein.«
Er hatte natürlich recht, ich war wirklich überwältigt. Andererseits wäre es auch merkwürdig gewesen, wenn Ai’long eine Sterbliche wie mich nicht beeindruckt hätte. Denn schließlich machte genau das seine Gefährlichkeit aus. Das war die Falle.
Ein Ort, der so schön war, dass selbst die Zeit den Atem anhielt.
In jeder Stunde, die du hier verbringst, verlie