: Marwin Wolf
: Brandt - Im Namen der Angst Thriller
: Piper Verlag
: 9783492602310
: 1
: CHF 10.30
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 336
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Historische Spannung vom Feinsten - eine mysteriöse Mordserie führt ins Zentrum der Macht  In »Brandt - Im Namen der Angst« verknüpft Marwin Wolf geschickt einen historischen Spionagethriller mit einem unheimlichen Kriminalfall um eine Reihe düsterer Morde, die mit antiker Mythologie zu spielen scheinen. Terrorisiert ein Serienmörder das Berlin der 1930er Jahre? Wolf konfrontiert seinen schillernden Ermittler Laurence Brandt mit einer lebensgefährlichen Mischung aus Verschwörung, Kult und Politik. Berlin 1937: Nahe einer Siedlung, die man Drachenloch nennt, wird ein Industriellensohn vor einen Zug geworfen. Im Hals einer toten Sekretärin findet sich eine Jadefigur in Drachenform. Im Pergamonmuseum wird ein Theaterstar mit einem Drachendolch getötet. Polizeimajor Schauer bittet den Geheimagenten Laurence Brandt um Hilfe - denn diese Morde haben eine politische Dimension. Für Brandt ist das Rampenlicht allerdings gefährlich: Er hat Feinde in hohen Positionen. Die Ermittlungen drohen nicht nur sein Geheimnis zu enthüllen, sie gefährden auch das Leben jener, die er liebt. Erfolgreicher Ermittler, gerissener Spion, weltgewandter Lebenskünstler, liebevoller Sohn - Laurence Brandt ist ein Mann mit vielen Gesichtern. 

Der Journalist Marwin Wolf (49) wuchs zweisprachig in England und Hamburg auf. Nach einigen Jahren als Pianist widmete er sich dem Schreiben historischer Stoffe. Wolf lebt heute in London und Berlin.

1.


FRÜHLING 1937


Laurence Brandt hob den Kopf, keine leichte Sache, wenn man hinterrücks an Händen und Füßen gefesselt war, die Nase knapp über dem Boden. Er sah die Stiefel seiner Bewacher, akkurat poliert, das war Standard bei der Sicherheitspolizei.

Die Eisenstange lehnte normalerweise unauffällig in einer Ecke. Bei Bedarf wurde ein Delinquent auf dieser Stange arretiert. Man hob ihn an und legte die Stange über zwei Tische, wodurch sein gesamtes Gewicht an den Schultergelenken hing. Der Schmerz setzte praktisch sofort ein. Sehnen und Muskeln hielten die Stellung nicht lange durch, irgendwann sprangen die Oberarmknochen aus den Schulterpfannen. Das waren Schmerzen, unerträgliche Schmerzen.

Laurence umklammerte seine Fußgelenke mit beiden Händen, das linderte die Spannung und verhinderte das Nachgeben der Sehnen für einige Zeit. Die beiden Rottenführer gaben sich Mühe, die Tortur an ihm unsichtbar bleiben zu lassen. Darin lag seine Hoffnung. Nur zu Beginn hatten sie ihn geschlagen, das Feuchte an Stirn und Wange musste Blut sein. Während der Befragung rissen sie seinen Kopf weit genug hoch, dass er das Emblem an ihren Aufschlägen sehen konnte, dreifach geteiltes Eichenlaub. Seit Himmler sämtliche Polizeieinheiten unter sich vereint hatte, machte man den Beamten den Eintritt in dieSS leicht. Wer sich dazu entschloss, erhielt einen seinem Polizeidienstgrad entsprechendenSS-Rang und trug den Totenkopf auf der Mütze.

Laurence sah Elsas Lächeln vor sich. Er kannte nichts Belebenderes, Inspirierenderes, nichts Erotischeres als das Lächeln von Elsa Schreyer, die häufig von großem Ernst erfüllt war, der Genauigkeit über alles ging, die vieles verzieh, aber eine Lüge niemals. Wenn diese ernste, starke Frau ihn anlächelte, wusste er, dass ihm alles gelingen würde. Den anderen konnte er etwas vormachen, Elsa nicht. Laurence liebte Elsa bedingungslos, ausschließlich, und er hatte den beklemmenden Verdacht, dass sich daran nie etwas ändern würde. Wenn sie die ärmellose Bluse trug, rot-weiß getupft mit den kleinen gelben Vögeln darauf, wenn er sich nicht sattsehen konnte an ihren Schultern, wenn er den Leberfleck am Ansatz ihrer Brüste betrachten, den Duft ihres Haares schnuppern durfte, welches größere Geschenk konnte das Leben ihm machen? Für Laurence gab es niemand Entwaffnenderen als Elsa Schreyer, und von niemandem außer ihr ließ er sich entwaffnen.

Bei diesem Gedanken erfasste ihn mit einem Mal eine unerklärliche Heiterkeit.

»Jetzt grinst uns der Kerl auch noch an.« Der Rottenführer mit den polierten Stiefeln riss Laurence’ Kopf in die Waagrechte.

***

Begonnen hatte alles vier Wochen früher, im Februar 1937.

»Trauen Sie Brandt etwa nicht?«, fragte Admiral Canaris. Der Leiter derAbwehr, des Geheimdienstes der Wehrmacht, hatte eine freundliche, geradezu treuherzige Ausstrahlung. Früh ergraut, wirkte er wie der Großvater, den sich jedes Enkelkind wünschen würde. Seine kunstsinnige Frau Erika gab eine musikalische Soiree. Da Canaris der wahrscheinlich unmusikalischste Mensch der Wehrmacht war, pflegte er bei solchen Anlässen zu kochen. Um die Zeit sinnvoll zu nutzen, hielt er parallel dazu berufliche Besprechungen ab.

»Sie haben Laurence Brandt von Anfang an nicht getraut«, setzte Canaris hinzu, während er den Fond für seinen Rinderbraten abschmeckte. Er schob das Ganze wieder ins Backrohr.

Ihm gegenüber nippteSS-Gruppenführer Richard Klinger an einem Glas Mosel. Zum Rindfleisch würde Rotwein serviert werden, daher genehmigte er sich vorab einen Weißen. »Sie dagegen haben Brandt von Anfang an blindlings vertraut«, antwortete er.

»Als Leiter der Abwehr traue ich grundsätzlich niemandemblindlings.« Canaris schmunzelte. »Es ist nur so, dass Brandt exzellente Ergebnisse liefert. Seine Methoden sind unorthodox, aber effektiv.«

»Hatten Sie nie den Verdacht, dass sich mit Brandt ein britisches Kuckucksei in Ihrem Geheimdienst eingenistet haben könnte?«

Gruppenführer Klinger war optisch das genaue Gegenteil von Canaris. Der Admiral maß nur einen Meter sechzig. Dieser Umstand hatte es ihm zu Beginn schwer gemacht, sich in der Wehrmacht durchzusetzen. Er hielt sich leicht gebückt, war stets zuvorkommend und wirkte selbst in Uniform wie ein unverbesserlicher Zivilist. Zu allem Überfluss lispelte Canaris auch noch.

SS-Gruppenführer Klinger dagegen, Chef der Sicherheitspolizei, war groß, schlank, durchtrainiert, musisch begabt und zeigte auch im privaten Umgang ein militärisches Auftreten.

Von Anfang an hatte es zwischen Canaris und Klinger Schwierigkeiten gegeben. DieSS strebte eine einheitliche Organisation aller deutschen Geheimdienste an. Himmler wollte so bald wie möglich auch die Kontrolle über dieAbwehr erhalten, doch dieser besondere Geheimdienst unterstand der Wehrmacht. Durch Gesprächsbereitschaft, ruhiges Taktieren und seinen persönlichen Kontakt zum Führer hatte Canaris bis jetzt alle Infiltrationsversuche derSS vereitelt.

Von außen betrachtet, durfte man die beiden, wenn schon nicht als Freunde, so doch als gute Nachbarn bezeichnen. Die Grundstücke ihrer Villen in Berlin-Schlachtensee grenzten aneinander. Sie begegneten sich morgens vor der Fahrt in die Dienststellen, wenn ihre Limousinen bei den Toren warteten. Sie begegneten einander auch spätnachmittags im Garten. Canaris war ein begeisterter Hobbygärtner. Klinger ließ lieber einen Sturmmann die Koniferen stutzen und die Frühlingszwiebeln setzen. Sie begegneten einander mitunter auch abends, wenn Erika Canaris zur Soiree lud.

Als Sohn zweier Musiker beherrschte Klinger mehrere Instrumente, das Violinspiel sogar auf professionellem Niveau. In Erikas Streichquartett spielte er die erste Geige, sie selbst die zweite. Der Admiral dagegen hätte Mozart nicht von Haydn unterscheiden können.

»Ist Ihnen nie in den Sinn gekommen, Ihren Vorzeigeknaben einem Test zu unterziehen?« Klinger beobachtete, wie der Admiral den länglichen Serviettenknödel aus dem siedenden Wasser holte und das heiße Tuch auf dem Schneidebrett behutsam öffnete.

»Brandt testen? Wie stellen Sie sich das vor?«

»Geben Sie dem Mann einen Auftrag, der ihn in Versuchung bringen könnte.«

Perlen von Küchendampf standen Canaris auf der Stirn. Mit der Schürze trocknete er sein Gesicht ab. »In fünfzehn Minuten muss ich den Braten tranchieren, und vorher sollen Sie noch Schubert zum Besten geben. Bitte kommen Sie daher zur Sache.«

»Mit Vergnügen.« Klinger stellte sein Glas ab. »Mir ist bekannt, dass dieAbwehr – und damit Sie selbst – es auf die britischen De-Havilland-Werke abgesehen hat.«

»Ach ja?« Canaris schnitt den länglichen Knödel in Scheiben. »Habe ich es wirklich auf die De-Havilland-Werke abgesehen?«

Klinger war die kleine Pause nicht entgangen. Er genoss es, den Kontrahenten spüren zu lassen, dass dieAbwehr vor derSS nur wenig geheim halten konnte. »Wir beide wissen, dass der englische Flugzeugbauer seineDH.88 zwar als Trainingsmaschine und Passagierflugzeug deklariert, zugleich aber die Kapazität besitzt, den Flieger im Kriegsfall sofort in ein Kampfflugzeug umzubauen.«

Scheibe um Scheibe drapierte Canaris die Serviettenknödel auf der Vorlegeplatte. »Wussten Sie, dass De Havilland dieser Kriegsvariante bereits einen Namen gegeben hat?«

»Erhellen Sie mich«, entgegnete Klinger.

»Das Ding sollMosquito heißen.« Canaris stellte die Knödel warm. »Aber was hat das alles mit Laurence Brandt zu tun?«

»Die De-Havilland-Werke sind neulich in die Grafschaft Herfordshire nördlich von London übersiedelt.«

»Und?« Canaris sah nach dem Rosenkohl. Der konnte noch ziehen.

»Die Firma hat ihre Sicherheitssysteme dort bis heute nicht vollständig fertiggestellt.«

Canaris nahm die Schürze ab und schlüpfte in die Uniformjacke. »Und weiter?«

»Laurence Brandt ist...