: Volter Kilpi
: Im Saal von Alastalo Eine Schilderung aus den Schären
: mareverlag
: 9783866488175
: 1
: CHF 35.10
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 1136
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als Proust »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« und Joyce »Ulysses« schrieb, entstand auch in Finnland ein epochales Werk: In Volter Kilpis Prosa-Epos lädt der Gutsherr Alastalo die wichtigsten Männer der Schärengemeinde ein, um sie vom gemeinsamen Bau einer Dreimastbark zu überzeugen. Während mit Hingabe Pfeife geraucht und Grog getrunken wird, umkreisen die unterschiedlichen Lager einander listig in dem Versuch, die eigenen Interessen durchzusetzen. Kilpis über tausendseitiges Opus magnum, im Original 1933 erschienen, spielt an einem einzigen Nachmittag und ist eine großartige Charakterstudie der Menschen, die den Kosmos der finnischen Schären im 19. Jahrhundert bevölkerten. Vor allem aber ist der Roman ein überwältigendes Sprachkunstwerk, das einen unvergleichlichen Sog entwickelt und durch Stefan Mosters Übersetzungsgroßtat endlich der deutschen Leserschaft zugänglich wird. »Eines der bedeutendsten Zeugnisse der modernen finnischen Literatur. (...) Ein modernes Epos von ganz persönlichem Gepräge.« - Kindlers Neues Literatur Lexikon

Volter Kilpi wurde 1874 in der südwestfinnischen Schärengemeinde Kustavi als Sohn eines Kapitäns geboren. Nach seinem Studium in Helsinki absolvierte er eine Laufbahn als Bibliothekar. In jungen Jahren machte er mit drei Romanen im symbolistischen Stil auf sich aufmerksam, verstummte danach aber für fast 30 Jahre, bis er mit einer groß angelegten Trilogie über seine Heimat zum bedeutenden Schriftsteller wurde. Das Herzstück der Trilogie, der Roman »Im Saal von Alastalo« (1933), gilt heute als einer der besten finnischen Romane überhaupt. Kilpi starb 1939 in Turku.

Der KirchhofPROLOG


Ein sommerlicher Sonntag gegen Abend. Eine stille Schärenkirche mitten auf einem Friedhof. Das schwarze Schindeldach erhebt sich hoch und ernst im Laubwerk, das Blinken der Sonne aus dem Westen spielt auf der roten Wand, lässt die weißen Fensterrahmen leuchten. Unsagbarer Friede in der Luft und ringsumher. Als einziger Laut nur das Flattern der Espen neben der bemoosten Mauer.

Ich habe das Eisentor zum Kirchgarten geöffnet, in den Scharnieren quietschend, fällt es mit einem dumpfen Schlag hinter mir zu, und der Kies knirscht unter meinen Füßen. Graue, verblasste Holzkreuze beiderseits des Weges, hier und da ein schwarzes eisernes mit Messingschild, dazwischen, die anderen überragend, eine Blechtafel, die man auf eine Eisenstange geschoben hat und von deren gewölbter Fläche eine rostige, vermooste Inschrift ins Auge sticht. Herrscht hier im Kreuzwald gar noch tiefere Stille als eben am Eisentor, das sich zum sonntagabendlichen Ausruhen schloss?

Ich schlängle mich zwischen den Kreuzen hindurch, taste mit den Augen nach verblichenen Inschriften, ergründe einen Namen hier, einen Namen dort. Du bist es, der da ruht? Und du bist in diesem Torf geborgen? Name auf Name, vertraut wie die eigene Kindheit, buchstabiere ich mir, jeden für sich, Hügel um Hügel, Reihe für Reihe lese ich sie: er also auch und auch sie, Junge, Alte, das Volk meiner Jugend, das zarte Kind, die zittrige Greisin, eins neben dem anderen im Schoße des Kieses, in der Reihenfolge, in der ihnen die Totenglocke getönt hat! Aus den Kammern ferner Erinnerungen schimmert der Kopf eines kleinen Mädchens hervor, ruhend auf einem Kissen aus Leinzeug, bläuliche Adern auf der siechen Schläfe, auf der blassen, eingefallenen Wange eine verirrte arme, aschblonde Strähne, in den grauen Augen der schmerzliche Glanz einer Sehnsucht, die alle Hoffnung fahren gelassen hat. Vor meinem Auge scheint eine gebückte Greisin auf, zitternd, die knotige Hand am abgenutzten Griff ihres Gehstocks, die dünnen fahlweißen Reste des lockigen Haars, die in den Furchen um das vom Leiden bleiche Gesicht herum verschwinden, vom Leben so gänzlich entkleidet schon, dass der Tod keine große Mühe mehr hat, dieses Antlitz auszulöschen. Von Hügel zu Hügel, von Kreuz zu Kreuz wandere ich, lese moosbewachsene Inschriften auf den Gräbern erloschener Menschen, Erloschener, vor Jahren und Jahrzehnten Erloschener, deren Leben den