Einleitung
Was sind unsere Elternjahre?
Elternsorgen
Eltern erziehen heute sehr bewusst. Mütter stillen ihren Nachwuchs bis ins Kleinkindalter. Väter verzichten auf Gehalt und Karriere, um Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Gemeinsam bauen sie ein drei Meter breites Familienbett und bringen die Kinder morgens nicht nur ans Schultor, sondern bis ins Klassenzimmer. Frühkindliche Förderung ist inzwischen die Regel, nicht mehr die Ausnahme. Und auf Elternabenden müssen immer mehr Stühle herangeschafft werden, so groß ist der Andrang.
Diese Elternpräsenz wird überwiegend begrüßt. Aber sie hat eine Schattenseite, und die wird täglich größer. So groß, dass sie die Präsenzgewinne überlagert. Dieser Schatten heißtSorge.
Da ist zunächst die Sorge, dem Kind könnte etwaspassieren. Ein Kind haben heißt Angst haben. Angst vor Unfall, Krankheit oder schiefer Bahn. Man sieht in einem Kind ein fragiles Wesen, das von Erwachsenen immerzu überwacht und vor allen Gefahren geschützt werden muss.
Sodann ist da die Sorge, das Kind könnte etwasverpassen – eine Sorge, die aus der Flut von Informationen erwächst, die uns die Medienwelt entgegenspült. Nimmt das Kind eine normale Entwicklung? Was darf es essen? Mit wem soll es spielen? Wie unterstützen wir Eltern es optimal?
Später die Sorge, das Kind könne nicht in die künftige Arbeitsweltpassen. Welche Fähigkeiten werden gebraucht? Welche Berufe haben Chancen? Man hält es für unwahrscheinlich, dass zukünftig das gewöhnliche Menschsein genügt.
Und dann ist da letztlich das Bedürfnis der Eltern, sich ihrem sozialen Umfeldanzupassen – sie möchten durch die Leistungen ihres Kindes gut dastehen. Der Erfolg des Kindes wird auf die Eltern zurückgebogen. Die Sorge wird zum »Selbst«-Zweck.
Nun ist Sorge generell weder falsch noch völlig unbegründet. Als Vor-Sorge ist sie ein uraltes Prinzip menschlichen Selbsterhalts, die Für-Sorge ist aufgehoben in der Liebe. Aber manche Eltern sorgen sich so sehr, dass sie selbst vor lauter Sorge krank werden: Stress, niedergedrückte Stimmung, Schlaflosigkeit sind noch die harmloseren Folgen. Partnerschaftliche Probleme die weniger harmlosen. Unser Umgang mit dem Kind ist dann nicht mehr getragen von Gegenwart, Leichtigkeit und Humor, sondern von Zukunftsschwere. Mit traurigen Nebeneffekten: Wir bringen das Kind um seine Kindheit. Und uns selbst um wunderbare Elternjahre.Das wären Gründe, sich Sorgen zu machen. Wir werden sehen, was sich stattdessen eignet, unsere Elternjahre gelingen zu lassen. Wie wir es schaffen, die Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen, ohne uns selbst dabei aufzugeben.
Nur-noch-Eltern
Früher wurde ein Kind eher nebenbei und unabsichtlich selbstständig; man kümmerte sich nicht groß darum. Entsprechend neu ist die Erziehung selbst. Es gibt sie erst seit etwa 200 Jahren – ein Klacks in der Weltgeschichte. Heute haben viele Eltern kein wichtigeres Thema. Das Kind ist nicht mehr nur »Nachwuchs«, es ist zumProjekt geworden. Und als Projekt wird es sorgfältig geplant, aktiv gestaltet und am Ende hoffentlich erfolgreich. Das Kind wird identitätsstiftend für die Familie.
Dabei wird das Erziehungs–»Projekt« zunehmendmoralisiert. Noch bis in die 1960er Jahre hinein standen sich homogene Kollektive gegenüber – auf der einen Seite die Erwachsenen, auf der anderen die Kinder. Es war klar, was man von der jeweiligen Gruppe erwartete. Eltern verfolgten die gleichen Werte und Ziele: Sie sorgten dafür, dass die Kinder satt waren, saubere Kleidung trugen, vernünftig durch die Schule kamen und schließlich einen sicheren Beruf fanden. Und Kinder sollten vor allem gehorchen, freundlich grüßen und keine Widerworte geben. Dieser gesellschaftliche Konsens über Erziehung ist verloren gegangen. Heute stehen Erwachsene nicht mehr für Erwachsene ein, sondern vorrangig für ihr eigenes Kind. Zudem kommt es vermehrt zu