: Joachim Kunstmann
: Ein Ort für das Leben Der Weg zur religiösen Erneuerung der Kirche
: Gütersloher Verlagshaus
: 9783641296919
: 1
: CHF 17,60
:
: Philosophie, Religion
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Leben deutung statt Museums-Religion
Vor 2000 Jahren stellte eine tiefgreifende Erfahrung das Leben einiger Menschen auf einen neuen Grund. Aus dieser Erfahrung entstand das Christentum. Heute sind existenzielle Erfahrungen und deren Deutung aus der Kirche ausgewandert - ebenso wie das religiöse Erleben. Kirche praktiziert Glaubenslehren und rituelle Routinen, die kaum noch Bezug zum Leben der Gegenwart aufweisen.

Kann das wieder anders werden?

Es muss wieder anders werden, wenn Kirche und Christentum eine Zukunft haben und die Menschen wieder erreichen wollen. Das ist die These dieses Buches.

Joachim Kunstmann zeigt: Kirche kann zu einem Ort für die Religion der Menschen werden. Sie muss diese entscheidende Aufgabe nur anpacken und die längst überfällige Veränderung wagen.

  • Religiöse Erfahrung statt staubige Tradition
  • Gegen die Erlebnisvergessenheit der Kirchen
  • Kirche als Ort lebendiger Erfahrung neu gestalten


Joachim Kunstmann, geb. 1961, ist Professor für Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten.

II Rettet die Kirche!

Warum die Kirche nicht ersetzbar ist

Eine verständliche und religiös wie theologisch offene und lebendige Kirche, die die freireligiös-spirituellen Menschen auf ihren Wegen unterstützen und begleiten könnte, wäre unserer Gesellschaft so nötig wie das tägliche Brot. … Eine Kirche, die die Menschen mit Respekt für ihre religiöse Autonomie zu begleiten sucht, in deren Schätze Menschen sich bergen könnten, wäre eine dringende gesellschaftliche Notwendigkeit.

Matthias Kroeger26

1 Das Wissen der Religion

Was ist das Leben: ein Paradies an Leichtigkeit, Glück und Geborgenheit – oder ein Acker, dem man mit Mühe und Gram das Überleben abringt? Das sind die beiden Pole, zwischen denen sich menschliches Leben vollzieht. Welch eine Ouvertürere gleich auf den allerersten Seiten der Bibel (Gen 2 f.)! Man kann nur staunen über die tiefe Klugheit, mit der ein Schreiber um 1000 vor Christus die menschliche Existenz in Metaphern eingefangen hat.

Das ist das Anliegen der biblischen Erzählungen: Die Bedingungen des Menschseins zu erhellen, um Menschen eine tiefere Erkenntnis ihrer selbst und eine Orientierung zu ermöglichen. Darum ist es Unsinn anzunehmen, es handele sich bei der Geschichte mit dem Apfel um ein historisches Geschehen, bei dem ein Herr namens Adam ein moralisches Verbot übertreten, damit eine Sündenschuld begangen und den Tod als Schicksal über die gesamte nachfolgende Menschheit gebracht hätte. Die Paradieserzählung ist ein Mythos. Solche Mythen, aber auch Metaphern und Gleichnisse sind typisch für die Religion. Sie bringen zur Sprache, was immer gilt, was wesentlich für die Existenz ist. Es sind symbolische Bilder, die aus tiefer Erfahrung heraus entstehen.

Diese symbolischen Bilder sind das Medium einer lebendigen Religion. Sie kreisen um die Erfahrung einer tiefen Verbundenheit (re-ligio) mit dem großen, alles umfassenden Leben. Sie sind wie Fenster, die das Leben transparent machen. Und sie machen deutlich, »dass Menschen darin ihre Würde haben, dass sie etwas Höheres als sich selbst anzuerkennen vermögen«.27 Deshalb waren die Großen der Religion immer sprachschöpferisch, und sie standen in deutlicher Distanz zu Glaubenslehren, rituellen Pflichten, Überzeugungen und sakralen Sonderbereichen.

Weil sie das Leben deuten, sind die Bilder der Religion immer wieder von einer erstaunlichen Realistik. Mit herausragender Nüchternheit erzählt die Bibel vom Menschen und seinem Tun. Sie zeichnet vom Menschen gerade keine Idealvorstellung – so wie das etwa die homerischen Epen tun. Im Gegenteil: Adam verspielt das Paradies. Sein Sohn Kain bringt seinen Bruder um. Wenige Generationen später betrügt Jakob