II Rettet die Kirche!
Warum die Kirche nicht ersetzbar ist
Eine verständliche und religiös wie theologisch offene und lebendige Kirche, die die freireligiös-spirituellen Menschen auf ihren Wegen unterstützen und begleiten könnte, wäre unserer Gesellschaft so nötig wie das tägliche Brot. … Eine Kirche, die die Menschen mit Respekt für ihre religiöse Autonomie zu begleiten sucht, in deren Schätze Menschen sich bergen könnten, wäre eine dringende gesellschaftliche Notwendigkeit.
Matthias Kroeger26
1 Das Wissen der Religion
Was ist das Leben: ein Paradies an Leichtigkeit, Glück und Geborgenheit – oder ein Acker, dem man mit Mühe und Gram das Überleben abringt? Das sind die beiden Pole, zwischen denen sich menschliches Leben vollzieht. Welch eine Ouvertürere gleich auf den allerersten Seiten der Bibel (Gen 2 f.)! Man kann nur staunen über die tiefe Klugheit, mit der ein Schreiber um 1000 vor Christus die menschliche Existenz in Metaphern eingefangen hat.
Das ist das Anliegen der biblischen Erzählungen: Die Bedingungen des Menschseins zu erhellen, um Menschen eine tiefere Erkenntnis ihrer selbst und eine Orientierung zu ermöglichen. Darum ist es Unsinn anzunehmen, es handele sich bei der Geschichte mit dem Apfel um ein historisches Geschehen, bei dem ein Herr namens Adam ein moralisches Verbot übertreten, damit eine Sündenschuld begangen und den Tod als Schicksal über die gesamte nachfolgende Menschheit gebracht hätte. Die Paradieserzählung ist ein Mythos. Solche Mythen, aber auch Metaphern und Gleichnisse sind typisch für die Religion. Sie bringen zur Sprache, was immer gilt, was wesentlich für die Existenz ist. Es sind symbolische Bilder, die aus tiefer Erfahrung heraus entstehen.
Diese symbolischen Bilder sind das Medium einer lebendigen Religion. Sie kreisen um die Erfahrung einer tiefen Verbundenheit (re-ligio) mit dem großen, alles umfassenden Leben. Sie sind wie Fenster, die das Leben transparent machen. Und sie machen deutlich, »dass Menschen darin ihre Würde haben, dass sie etwas Höheres als sich selbst anzuerkennen vermögen«.27 Deshalb waren die Großen der Religion immer sprachschöpferisch, und sie standen in deutlicher Distanz zu Glaubenslehren, rituellen Pflichten, Überzeugungen und sakralen Sonderbereichen.
Weil sie das Leben deuten, sind die Bilder der Religion immer wieder von einer erstaunlichen Realistik. Mit herausragender Nüchternheit erzählt die Bibel vom Menschen und seinem Tun. Sie zeichnet vom Menschen gerade keine Idealvorstellung – so wie das etwa die homerischen Epen tun. Im Gegenteil: Adam verspielt das Paradies. Sein Sohn Kain bringt seinen Bruder um. Wenige Generationen später betrügt Jakob