Als mich die Musik und die Unterhaltung der Jugendlichen auf der Wiese am Dom nicht einschlafen ließen, überlegte ich, was ich den Jugendlichen überhaupt sagen wollte, wenn ich zu ihnen auf die Wiese ginge. Vielleicht würde ich jemanden bitten mitzukommen. Ein bisschen mulmig wäre mir schon, ob sich die Jugendlichen überhaupt auf eine ihnen fremde Frau einlassen würden. Würden sie mir die Chance geben, ihnen zuzuhören, sie kennen und verstehen zu lernen zwischen Techno und Rap, Wasser und Wein, Liebe und Leiden an der Liebe? Auch wenn ich einige Übung darin habe, mit fremden Menschen ins Gespräch zu kommen und dabei durchaus über existenzielle Fragen zu sprechen, gehen mir solche Gespräche nicht leicht über die Lippen. Ob ich am Ende von mir, meinem eigenen Leben und damit auch meinem Glauben erzählt hätte, habe ich mich in dieser Nacht mit den Stimmen und der Musik der feiernden Jugendlichen gefragt. Vielleicht müsste ich dafür mehr als nur einen Abend mit den Jugendlichen verbringen. So schnell kommen Gespräche, die mehr sind als small talk, nicht zustande. Am Ende war ich froh, müde von einem langen Tag ins Bett gegangen zu sein, und doch ärgerlich mit mir selbst, dass ich nicht spontan die Begegnung mit den Jugendlichen gesucht habe. Dass es dafür um kurz vor Mitternacht zu spät gewesen wäre, war nicht mehr als eine Ausrede.
Durch die Diskussion über die »Relevanz von Kirche«, die seit der Corona-Pandemie mit einer neuen Intensität geführt wird, denke ich in für mich neuen, eher noch ungewohnten Bahnen darüber nach, wie gerade jenseits der Kirchenmauern – extra muros ecclesiae – im nicht geschützten Raum von Kirche explizit vom Glauben gesprochen werden kann. Wie kann er im Taxi oder auf der Havelwiese bezeugt und gelebt werden? Dabei muss ich mit diesem Buch Farbe bekennen und ehrlich erzählen, warum ich glaube und was das für mein Leben und den Gedanken an das eigene Sterben heißt. Ebenso wichtig ist es, von anderen Menschen zu hören, warum sie vielleicht anders als ich glauben oder gerade nicht glauben. Das gelingt im Gespräch mit Menschen, die keine religiösen Überzeugungen vertreten oder sich religiös entfremdet haben, nur, wenn ich meine eigenen Erfahrungen mit dem Glauben in die Sprache und das Denken der säkularen Welt »übersetze« (Jürgen Habermas).6 Die säkulare Welt, das können die feiernden Jugendlichen auf der Wiese, der Taxifahrer ebenso wie Menschen aus Politik, Bildung und Gesellschaft sein, mit denen ich beruflich viel zu tun habe. Mit diesen unterschiedlichen Menschen möchte ich einen intensiven und ehrlichen Dialog über die Fragen des Lebens versuchen. Mitten im Leben in der Begegnung mit Menschen nach Gott suchen – zusammen mit anderen Christ*innen, mit konfessionslosen Menschen, erklärten Atheisten und mit denen, die von anderen Religionen und Weltanschauungen überzeugt sind. Für mich ist der Glaube »existenzrelevant« (Wolfgang Huber)7. Deshalb gibt es keinen Bereich meines Lebens, in dem mein Glaube keine Rolle spielt. Dabei sehe ich ein ständiges theologisches, wissenschaftlich fundiertes Arbeiten, das die existenzielle Dimension präsent hält und transparent macht, als unve