Vorwort
Geschichten erzählen
Ich sinne, Bruder, über eine Weissagung, die ich dieser Tage las …
William Shakespeare1
Es war stockdunkel und regnete in Strömen, als ich mein Zelt aufschlug. Ich hoffte, den Hang weit genug hinaufgeklettert zu sein, um nicht einer Überschwemmung zum Opfer zu fallen. Drinnen fühlte es sich dann an wie im Schleudergang einer Waschmaschine. Der Wind rüttelte an den Zeltstäben, die nasse Zeltplane kam meinem Gesicht gefährlich nahe und ließ einen feinen Sprühregen auf mich niedergehen. Als der Sturm bis tief in die Nacht weiterwütete und mein Schlafsack sich langsam vollsog, begann ich an meinem Plan für die Frühjahrsferien zu zweifeln.
Ich hätte mit Freunden zum Angeln gehen können, also rumhängen und Bier trinken – was College-Studenten vor dem Abschlusssemester halt so machen. Stattdessen hatte ich in allerletzter Minute beschlossen, mir ein paar Brote zu schmieren, meine Campingausrüstung in den Rucksack zu stopfen und ein unberührtes Fleckchen in der südkalifornischen Wüste zu erkunden, aus dem später einmal der Joshua Tree National Park werden sollte. Ich wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, eine wasserdichte Plane und Regenklamotten mitzunehmen – es handelte sich schließlich um die trockenste Region Nordamerikas. Doch auch wenn diese erste Nacht zu den schlimmsten gehört, die ich je in einem Zelt verbracht habe, bewirkte der Regen wahre Wunder. Um mich herum erwachten durstige Samenkörner und Stauden zum Leben, und als die Wolkendecke in den darauffolgenden Tagen aufriss, fand ich mich in einer der wunderbarsten Landschaften überhaupt wieder: einer blühenden Wüste. Meinen Feldnotizen zeichnen ein Bild der Überfülle goldener, blauer und violetter Blüten, wie mit dem Pinsel auf die rote Erde und den Granit getupft. Ich notierte über zwei Dutzend Arten, von fröhlichen Gänseblümchen über Glockenblumen bis hin zu selteneren Exemplaren mit eigenwilligen Namen wie Bienenfreund, Zweizahn undWislizenia refracta. Am meisten jedoch schrieb ich über ein Gewächs, das keine Blüten, sondern eine ganz eigene Art von Schmuck trug.
Ich entdeckte es an einem schmalen Bergpass: eine Josua-Palmlilie, deren Äste nach oben ragten wie die Zinken einer Harke. Schon aus der Entfernung hatte ich gesehen, wie eigenartig sie in der leichten Brise glitzerte, und als ich näher kam, verstand ich auch, warum. Der von den Felsen und der Steigung kanalisierte Wind hatte den Baum üppig mit Müll dekoriert: Plastiktüten, Lebensmittelverpackungen, zerfetzte Schnüre und Bänder sowie nicht weniger als drei Luftballons in unterschiedlichen Stadien der Erschlaffung. »Happy Birthday« konnte man auf einem noch entziffern, der an seiner verhedderten Schnur sachte vor sich hin zitterte. Damals dachte ich bei dem Müll an Früchte – eine eigenartige Ernte mitten in der Wildnis, etwa achtzig Kilometer von der nächsten größeren Stadt entfernt. Jahrzehnte später habe ich das Bild noch immer vor Augen, als eindringliches Symbol unserer folgenreichen Eingriffe in die Natur. Inzwischen weiß ich, dass das Problem weniger darin besteht, was der Luftstrom dort hinträgt – das Problem liegt vielmehr in der Luft selbst.
Die Josua-Palmlilie ist die weltweit größte Art ihrer Gattung (Yucca). Sie kommt ausschließlich in der Mojave-Wüste vor, die sich durch die Klimaerwärmung rasch verändert. (National Park Service/Robb Hannawacker)
Zwei Monate nach diesem Ausflug machte ich meinen Bachelorabschluss und spezialisierte mich danach auf Naturschutzbiologie. Meine Abschlussprüfung fiel zufällig auf den Tag, an dem im Juni 1992 in Rio de Janeiro dieUN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung begann, bei der das erste internationale Abkommen zum Klimawandel vorgestellt und unterzeichnet wurde. Etwas Neues war das nicht – schon im 19.Jahrhundert hatte die Wissenschaft den Einfluss von Kohlendioxid-Emissionen vorausgesehen, und die Formulierung »Erderwärmung« war im Bereich des Umweltschutzes seit Jahren geläufig. Diese Konferenz markierte allerdings insofern einen Wendepunkt, als sie den Klimawandel von einem rein wissenschaftlichen Thema zu einem öffentlichen und globalen Problem machte. In den Folgejahren gerieten die immer eindeutigeren Beweise und die Aufrufe zum Handeln häufig in Konflikt