Der Tragling
Erinnerst du dich noch daran, dass du im Biologieunterricht mal etwas darüber gelernt hast, wie unterschiedlich sich der Nachwuchs von Tieren entwickelt? Es ging um »Nesthocker« und »Nestflüchter«, also um Jungtiere, die entweder nach der Geburt noch länger immobil und deshalb auf sehr viel Unterstützung angewiesen sind, oder um solche, die direkt nach der Geburt im wahrsten Sinne des Wortes auf eigenen Beinen stehen und daher wesentlich selbstständiger sind. Dieses Schema wurde um eine dritte Kategorie ergänzt, nämlich den Tragling. Und den wollen wir uns hier etwas ausführlicher anschauen, denn genau das sind Menschenbabys. Oft fällt es uns viel leichter, die Grundbedürfnisse unserer Kinder zu erkennen und in unseren Alltag zu integrieren, wenn wir die biologischen Hintergründe kennen.
Werfen wir daher einen Blick auf die drei unterschiedlichen Gruppen! DieNesthocker sind direkt nach der Geburt taub und blind, denn ihre Augenlider und Gehörgänge sind noch geschlossen. Da sie nackt sind, können sie ihre Temperatur nur sehr unvollkommen selbst regulieren. Darüber hinaus können sie sich noch nicht selbst fortbewegen – mit einem Wort: Nesthocker sind darauf angewiesen, dass sie von ihrer Umgebung versorgt werden. Erleichtert wird das dadurch, dass die Nahrung, die sie erhalten, oftmals sehr langanhaltend sättigt, sodass sie es längere Zeit ohne Nahrungszufuhr aushalten können. So kommen beispielsweise Kaninchen nur ein- bis zweimal am Tag zu ihrer Höhle, um ihre Babys zu säugen.
Ganz anders verhält es sich bei denNestflüchtern: Bei ihnen sind Augen und Ohren schon direkt nach der Geburt geöffnet, sie verfügen auch bereits über die wärmende Körperbehaarung und können dem Muttertier bereits kurz nach der Geburt folgen. Da die Muttermilch eher fettarm ist, müssen Nestflüchter in kurzen Abständen gestillt werden, daher brauchen sie die Nähe zur Mutter.
UnterTraglingen schließlich versteht man alle Lebewesen, die von einem Elternteil getragen werden, weil sie sich noch nicht alleine fortbewegen können. Hier wird zwischen aktiven und passiven Traglingen unterschieden: Passive Traglinge, etwa Kängurus und Koalas (die sich spannenderweise später zu aktiven Traglingen entwickeln!), werden beispielsweise in den Beuteln ihrer Mütter transportiert. Dort setzen sie ihre Reifung fort. Aktive Traglinge sind hingegen beispielsweise Affen, die sich im Fell ihrer Mütter festhalten.
Richten wir den Blick nun auf Menschenbabys, fallen die folgenden Merkmale ins Auge: Ihre Augen und Ohren sind direkt nach der Geburt geöffnet, die Sinnesorgane sind noch nicht ausgereift und die Neugeborenen können ihre Temperatur nur sehr unzureichend regulieren. Darüber hinaus sind sie komplett hilflos, können sich noch nicht selbst fortbewegen und brauchen sowohl häufige Stillmahlzeiten, als auch intensiven Körperkontakt mit ihrer Hauptbezugsperson. All das macht deutlich: Menschen gehören zu den Traglingen, und zwar zu den aktiven.
Die Reflexe und das Hüftgelenk
Mit dem Wissen, dass der Mensch ein Tragling ist, erklärt sich schnell, warum Reflexe, Muskulatur und die Knochen des Babys sowohl am Tragen beteiligt sind, als auch stark davon profitieren. Viele Reflexe, die bei der U3 in der vierten bis fünften Lebenswoche untersucht und abgefragt werden, unterstützen das Baby beim Stillen und Tragen. Das Baby hilft also quasi instinktiv mit.
Schauen wir uns das doch mal genauer an:
Wird ein Baby abgelegt oder erschreckt, zeigt sich oft derMoro-Reflex. Dabei breitet es die Arme ruckartig zur Seite aus und spreizt die Finger. Bei Traglingen dient der Moro-Reflex beispielsweise dem Schutz vor dem Herabfallen oder Abgelegt-Werden: Das Baby klammert, es greift also sozusagen nach dem Fell, was man etwa auch bei Affen sehr gut beobachten kann.
DerGreifreflex ist unabhängig vom Moro-Reflex; beide können nicht gleichzeitig ausgelöst werden. Durch den Greifreflex hilft das Baby mit Händen und Füßen aktiv beim Tragen, indem es sich an Kleidung (oder Haare) klammert.
DerAnhock-Spreiz-Reflex wird dann ausgelöst, wenn wir unser Baby hochheben. Es hockt automatisch die Beinchen auf etwa 110 Grad an und spreizt sie dabei leicht. So bereitet sich das Baby instinktiv darauf vor, auf unserer Hüfte getragen zu werden. Durch den Greifreflex in Händen und Füßen hilft das Baby aktiv mit, sich dort auch zu halten. Es benötigt jedoch zusätzliche Hilfe durch unsere Arme, ein Tuch oder eine Tragehilfe, da wir Eltern schon lange nicht mehr über das notwendige Fell verfügen, an dem das Baby sich festhalten könnte.
Anhock-Spreiz-Haltung bei einem kleinen Baby
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DerTonische Labyrinth Reflex (TLR) schließlich wird in Abhängigkeit von der Position des Babyköpfchens ausgelöst: Neigt sich das Baby nach vorne, so rundet sich der Rücken und die Beinchen hocken an. Hält das Baby sein