1. KAPITEL
Drei Tage später in der Archangel-Galerie, New York.
„Würden Sie bitte zur Seite gehen? Sie stehen mir im Weg.“
Rafe, der in der Tür des Osteingangs der Archangel-Galerie lehnte, von wo aus er den Aufbau der gerade für Palitovs Schmuckausstellung gelieferten Schaukästen beaufsichtigte, drehte sich zu dem jungen Mann um, der ihn so unhöflich angesprochen hatte. Er schien noch ein Teenager zu sein und wie die anderen Arbeiter trug er ausgeblichene Jeans und ein weites schwarzes Sweatshirt. Und eine Baseballkappe, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte.
Sein Gesicht war ein bisschen zu hübsch für einen Jungen. Schmale Brauen wölbten sich über Augen, die so grün wie frisches Moos und von langen vollen Wimpern umrahmt waren. Er hatte eine Stupsnase mit ein paar Sommersprossen, hohe Wangenknochen und volle sinnliche Lippen über einem spitzen und entschlossenen Kinn. Viel zu hübsch, dachte Rafe mitleidsvoll.
Nachdem er wie immer um halb neun in der Galerie angekommen war, hatte er von seinem Stellvertreter erfahren, dass die Palitov-Crew bereits um acht eingetroffen war. „Ich wollte nur gerade …“
„Würden Sie jetzt bitte zur Seite gehen?“, wiederholte der Junge heiser. „Wir müssen den Rest der Schaukästen reinbringen.“ Hinter ihm standen zwei massige großgewachsene Arbeiter.
Rafe runzelte beim Anblick der beiden Muskelprotze irritiert die Stirn. Wo zum Teufel steckte Dmitri Palitovs Tochter?
Der Junge sah ihn vorwurfsvoll aus grünen Augen an, als Rafe keine Anstalten machte, die Tür freizugeben. „Ich kann nicht fassen, dass Ihr Arbeitgeber einen solchen Mangel an Mitarbeit duldet!“
„Ich stehe nur hier, weil ich nachIhrem Arbeitgeber Ausschau halte“, antwortete Rafe genervt.
Die dunkelgrünen Augen blitzten. „Wirklich?“
„Wirklich“, bestätigte Rafe zynisch lächelnd. „Man hat mir gesagt, dass Miss Palitov heute Morgen persönlich den Einbau der Schaukästen überwachen würde.“
Der Junge sah ihn verunsichert an. „Und Sie sind?“
Rafe presste die Lippen zusammen. „Raphael D’Angelo.“
„Habe ich mir fast schon gedacht.“ Der Junge richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Guten Morgen, Mr D’Angelo, ich bin Nina Palitov“, fügte er hinzu, als Rafe keinerlei Anstalten machte, seine ausgestreckte Hand zu schütteln.
Zu Ninas Genugtuung schien etwas für einen Moment Raphael D’Angelos offensichtlich angeborene Arroganz zu erschüttern. Seine goldenen Augen weiteten sich überrascht, und ihm blieb sogar der Mund offen stehen.
Da er eine Weile dafür brauchte, sich von seinem Schreck zu erholen, nutzte Nina die Gelegenheit, ihn verstohlen zu mustern. Er war vermutlich Mitte dreißig, hatte langes schwarzes Haar und das Gesicht eines gefallenen Engels. Seine goldenen Augen blickten so scharf wie die einer Raubkatze, und seine lange aristokratische Nase und seine sinnliche Lippen sahen aus wie von einem Bildhauer gemeißelt. Das markante Kinn hatte er in diesem Augenblick herausfordernd vorgeschoben.
Er trug einen dunkelgrauen maßgeschneiderten Anzug mit einem schneeweißen Hemd, der seine schlanke muskulöse Figur betonte. Nina vermutete, dass der Anzug so viel gekostet hatte wie die Monatsmiete eines exklusiven New Yorker Penthouses. Seine hellgraue Krawatte war aus feinster Seide, und seine schwarzen Lederschuhe waren offensichtlich aus feinstem italienischem Leder.
Schon allein diese Aufmachung ließ auf den Geschäftsführer der Galerie schließen. Sein kultivierter englischer Akzent nahm ihr die letzten Zweifel.
Sie hob wieder den Blick zu diesem arroganten – wenn auch atemberaubend attraktiven – Gesicht. „Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen bin ich nicht ganz das, was Sie erwartet haben, Mr D’Angelo“, sagte sie trocken.
Nicht das, was ich erwartet habe?
Das war die Untertreibung des Jahrhunderts! Es war schlimm genug, dass Rafe sie für einen viel zu hübschen Jungen gehalten hatte. Dass dieser Junge in Wirklichkeit eine schöne junge Frau und noch dazu Dmitri Palitovs Tochter war, überforderte Rafe vollends. Palitov war fast achtzig Jahre alt, aber die Frau, die behauptete, seine Tochter zu sein, konnte höchstens Mitte zwanzig sein.
Oder war sie Palitovs Enkelin und vertrat aus irgendeinem Grund ihre Mutter?
Rafe zwang sich dazu, sich zu entspannen. „Nicht was, sondern wer“, antwortete er und schüttelte ihr die Hand. Eine sehr schlanke warme Hand. Er beschloss, seinen Irrtum nicht preiszugeben.
Forschend sah sie ihn aus moosgrünen Augen an. „Und wen bitteschön haben Sie erwartet, Mr D’Angelo?“
„Jemandem im Alter Ihrer Mutter vermutlich. Oder Ihrer Tanten.“
Die junge Frau lächelte schief. „Meine Mutte