: Victor Hugo
: Der Glöckner von Notre Dame. Gesamtausgabe Roman in drei Bänden
: apebook Verlag
: 9783961304615
: 1
: CHF 4.50
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: Historische Romane und Erzählungen
: German
Die Geschichte spielt im Jahr 1482. In den gewölbten gotischen Türmen der Kathedrale Notre-Dame lebt Quasimodo, der bucklige Glöckner. Wegen seines Aussehens verspottet und gemieden, wird er nur von Esmeralda bemitleidet, einer schönen Zigeunertänzerin, der er völlig verfallen ist. Esmeralda hat jedoch auch die Aufmerksamkeit des finsteren Erzdiakons Claude Frollo, Quasimodos Ziehvater, auf sich gezogen, und als sie seine lüsternen Annäherungsversuche zurückweist, schmiedet Frollo einen Plan, um sie zu vernichten. Aber nicht nur Quasimodo und sein düsterer Herr sind in hoffnungsloser Liebe zu der Tänzerin entbrannt - auch der tapfere Soldat Phoebus und der Dichter Gringoire verfallen Esmeralda... Ein verrückter Priester, ein vagabundierender Dramatiker, ein aufstrebender Soldat und ein missgestalteter Glöckner - sie alle sind von der Schönheit und dem Charme eines Zigeunermädchens fasziniert und gefesselt. Wer wird sie verraten und wer wird ihr treu bleiben, selbst im Schatten des Galgens? Diese bunt zusammengewürfelte Gruppe von Geächteten findet Zuflucht in den Mauern des größten Monuments des mittelalterlichen Paris, der großen Kathedrale Notre Dame. Im Laufe der Geschichte wird den Leserinnen und Lesern klar, dass nicht nur die menschlichen Charaktere, sondern auch die große Kathedrale selbst im Mittelpunkt der Geschichte steht. Victor Hugos sensationeller, stimmungsvoller Roman über dunkle Leidenschaften und unerwiderte Liebe erweckt das mittelalterliche Paris zum Leben und betrauert sein Vergehen in einem der größten historischen Romane des neunzehnten Jahrhunderts. Dieses ist die Gesamtausgabe und beinhaltet alle drei Bände.

1. Der große Saal


Heute vor dreihundertachtundvierzig Jahren sechs Monaten und neunzehn Tagen erwachten die Pariser unter dem Geläute aller Glocken, welche innerhalb des dreifachen Bereiches der Altstadt, Südstadt oder des Universitätsviertels und der Nordstadt mit lautem Schalle ertönten.

Und dennoch ist der 6. Januar 1482 kein Tag, von dem die Geschichte eine Erinnerung bewahrt hat. Nichts Merkwürdiges war an dem Ereignisse, welches seit dem Morgen die Glocken und die Bürger von Paris so in Bewegung und Erregung versetzte. Weder war es ein Überfall der Picarden oder der Burgunder, noch ein glänzender Jagdaufzug, noch ein Studententumult im Weingarten von Laas, noch ein Einzug »unseres allergnädigsten Herrn, des sehr gefürchteten Herrn Königs«, noch auch eine hübsche Aufknüpfung von Spitzbuben und Diebinnen im Gerichtshofe zu Paris. Nein, nicht einmal die im fünfzehnten Jahrhunderte so häufige Überraschung durch irgend welche verbrämte und mit Federbüschen geschmückte Gesandtschaft war es. Vor kaum zwei Tagen hatte der letzte derartige Aufzug, nämlich derjenige der flamländischen Gesandten, welche mit Abschließung des Ehebündnisses zwischen dem Dauphin und Margarethen von Flandern beauftragt waren, seinen Einzug in Paris gehalten, zum großen Verdrusse des Herrn Kardinals von Bourbon, welcher, dem Könige zu gefallen, dieser ganzen tölpelhaften Gesellschaft flamländischer Bürgermeister höflich begegnen und sie in seinem Palaste Bourbon mit einem »viel köstlichen Moralitätsspiele, Possen- und Schwankspiele« hatte unterhalten müssen, während ein Platzregen die prächtigen Teppiche vor seinem Tore überschwemmte.

Der 6. Januar, welcher »die ganze Bevölkerung von Paris in Bewegung brachte«, wie Jehan von Troyes erzählt, vereinigte seit undenklicher Zeit ein Doppelfest in sich: das des Königstages und des Narrenfestes.

An diesem Tage mußte es Freudenfeuer auf dem Grèveplatze, Maienaufpflanzung in der Kapelle Braque und geistliches Schauspiel im Justizpalaste geben. Am Abend vorher war es unter Trompetenschall in den Gassen durch des Herrn Oberrichters Leute in ihren Waffenröcken von violettem Camelot, mit großen weißen Kreuzen auf der Brust, ausgerufen worden.

Das Gedränge der Bürger und Bürgerinnen wogte also vom Morgen an, und nachdem Häuser und Verkaufsläden geschlossen waren, von allen Seiten nach einem der drei bezeichneten Stellen hin. Ein jeder hatte Partei genommen: der eine für das Freudenfeuer, der andere für die Maie, der dritte für das geistliche Schauspiel. Zum Ruhme des einfachen, gesunden Menschenverstandes der Pariser Maulaffen muß man sagen, dass der größte Teil der Menge seine Schritte nach dem Freudenfeuer lenkte, welches ganz zum Wetter paßte, oder nach dem Schauspiele, welches in dem wohl verdeckten und geschlossenen Saale des Palastes aufgeführt werden sollte; und dass die Schaulustigen übereingekommen waren, die arme, grüne Maie ganz allein unter dem Januarhimmel auf dem Kirchhofe der Kapelle Braque frieren zu lassen.

Das Volk wogte vornehmlich auf den Zugängen nach dem Justizpalaste, weil man wußte, dass die flamländischen Gesandten, welche vor zwei Tagen eingetroffen waren, sich entschlossen hatten, der Aufführung des Schauspiels und der Wahl des Narrenpapstes beizuwohnen, die gleichfalls im großen Saale stattfinden sollte.

Es war kein leichtes Vorhaben, an diesem Tage in jenen Saal zu gelangen, welcher damals für den größten bedeckten Raum, der in der Welt war, galt (freilich hatte Sauval den großen Saal des Schlosses Montargis noch nicht ausgemessen). Der menschenbedeckte Platz vor dem Palaste bot den Schaulustigen an den Fenstern den Anblick eines Meeres dar, in welches fünf bis sechs Straßen als ebenso viele Strommündungen jeden Augenblick neue Fluten von Köpfen ergossen. Die Wogen dieser unaufhörlich zunehmenden Menge brachen sich an den Ecken der Häuser, welche hier und da, wie ebenso viele Vorgebirge in das unregelmäßige Becken des Platzes hervortraten. In der Mitte der hohen gotischen Façade des P