: Sabine Raeder, Gudela Grote
: Der psychologische Vertrag
: Hogrefe Verlag GmbH& Co. KG
: 9783844420098
: Praxis der Personalpsychologie
: 1
: CHF 21.10
:
: Angewandte Psychologie
: German
: 94
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Beziehung zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen kann rein ökonomisch als Austausch von Arbeit gegen Geld verstanden werden. Diese Austauschbeziehung ist durch einen Arbeitsvertrag juristisch abgesichert, der auch weitere Merkmale der Beziehung definiert wie beispielsweise Arbeitszeiten und Bedingungen für die Beendigung des Vertragsverhältnisses. Neben der ökonomisch und juristisch definierten Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber besteht aber immer auch eine psychologische, auf dem sozialen Austausch beruhende Beziehung. Um die Gestaltung dieser Beziehung geht es in diesem Buch. Das Konzept des psychologischen Vertrags beinhaltet Verpflichtungen, Versprechen, Erwartungen, Leistungen des Unternehmens oder Beiträge der Mitarbeitenden, die in einem Beschäftigungsverhältnis über den juristischen Arbeitsvertrag hinaus ausgetauscht werden. Zentrale Fragen des psychologischen Vertrags sind beispielsweise: Wie sicher ist die Beschäftigung? Wie viel Einsatz und Leistung werden erwartet? Wie sehr können die eigenen Kompetenzen weiterentwickelt werden? Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten zeigt, dass erfüllte psychologische Verträge förderlich sind für die Leistung, die Arbeitszufriedenheit und das Commitment von Mitarbeitenden. Dieser Band wendet die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung auf die Analyse der Unternehmenspraxis an und erlaubt es, die bisher oft implizite Anwendung des psychologischen Vertrags in Unternehmen zu reflektieren und zu diskutieren. Der psychologische Vertrag wird über den gesamten Verlauf der Beschäftigungsbeziehung hinweg - von der Rekrutierung über die Einstellung und Entwicklung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses - dargestellt. Empfehlungen zur Analyse und zur Gestaltung von Maßnahmen im Human Resource Management und der Führung werden abgeleitet. Dieser Band bietet eine praxisnahe Einführung und unterstützt Mitarbeitende, Vorgesetzte und Personalverantwortliche dabei, Beschäftigungsbeziehungen über den Arbeitsvertrag hinaus zu verstehen und zu gestalten.

2      Modelle, Konzepte und Theorien

Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten zeigt, dass erfüllte psychologische Verträge förderlich sind, beispielsweise für die Leistung, die Arbeitszufriedenheit und das Commitment von Mitarbeitenden. Dies ist ein zentrales Argument dafür, die Beschäftigungsbeziehung in Unternehmen bewusst zu gestalten. Dieses Kapitel führt die wichtigsten wissenschaftlichen Grundlagen zum psychologischen Vertrag aus, um zu zeigen, in welchem Kontext sich psychologische Verträge wie entwickeln und welche Konsequenzen daraus entstehen. Aufbauend auf den am häufigsten verwendeten Definitionen des Konzepts werden Forschungsergebnisse zu Kontextfaktoren und Folgen des psychologischen Vertrags berichtet. Diese Forschungsergebnisse dienen in einem weiteren Schritt dazu, auf Ansatzpunkte für die Gestaltung der Beschäftigungsbeziehung im Arbeitsalltag aufmerksam zu machen.

2.1      Inhalt und Struktur des psychologischen Vertrags

Die Wurzeln des Konzepts des psychologischen Vertrags reichen in die Organisationsliteratur der 1930er Jahre zurück (vgl. Roehling, 1997). Zunächst wurde der psychologische Vertrag als Erwartungen umschrieben, die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehen und die idealerweise übereinstimmen (z. B. Kotter, 1973). Erst in den 1990er Jahren setzte sich mit der zunehmend intensiveren Forschung eine Definition des psychologischen Vertrags durch, die diesen als Verpflichtungen oder Versprechen versteht, die vor allem der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmenden eingeht (Rousseau, 1989). Das Forschungsinteresse liegt zum einen darin, Inhalte psychologischer Verträge zu systematisieren, und zum anderen die Qualität psychologischer Verträge zu messen. So werden Inhalte des psychologischen Vertrags erkundet und strukturelle Unterschiede zwischen psychologischen Verträgen begründet. Die Qualität des psychologischen Vertrags wird in der Regel dadurch bestimmt, ob Verpflichtungen erfüllt und Versprechen eingehalten werden. Ist dies nicht gegeben, spricht man von einem Bruch oder einer Verletzung psychologischer Verträge (Robinson& Morrison, 2000).

2.1.1   Erwartungen und Angebote

Erwartungen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Frühe Definitionen umschreiben den psychologischen Vertrag als Erwartungen, die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehen (z. B. Kotter, 1973; Levinson, Price, Munden, Mandl& Solley, 1962; Schein, 1970). Zu den Erwartungen der Arbeitnehmenden zählen normative, ökonomische und kulturell bedingte Erwartungen sowie Erwartungen, die an die Rolle im Arbeitsprozess, das soziale System oder die Arbeitssituation geknüpft sind. Parallel dazu existieren Erwartungen der Organisation oder des Arbeitgebers. Der psychologische Vertrag wird dadurch umgesetzt, dass beide Parteien in einem gegenseitigen Austauschprozess stehen und die an sie gestellten Erwartungen nach Möglichkeit erfüllen.

„Der psychologische oder ungeschriebene Vertrag ist ein Produkt gegenseitiger Erwartungen. Diese sind folgendermaßen charakterisiert: (a) Sie sind weitgehend implizit und unausgesprochen, und (b) sie gehen häufig der Beziehung von Person und Firma voraus. Während viele Merkmale der Arbeit als wichtig genannt wurden und als rechtmäßig betrachtet wurden – angemessene Bezahlung, faire Führung, Arbeitsplatzsicherheit und so weiter –, wur